2.1 Gesamtergebnis des Verfahrens
Rz. 3
Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 S. 1 FGO). Unter Gesamtergebnis des Verfahrens sind sämtliche tatsächlichen, nicht jedoch die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen zu verstehen. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO bezieht sich auf Tatsachen und ggf. Beweisergebnisse. Zu ermitteln und ggf. zu beweisen sind daher die Tatsachen, die im Tatbestand der entsprechenden anzuwendenden Rechtsnorm genannt sind.
Rz. 4
Gesamtergebnis des Verfahrens ist der gesamte entscheidungserhebliche tatsächliche Prozessstoff, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung oder des schriftlichen Verfahrens war. Dieser ergibt sich nicht nur aus dem Ergebnis einer förmlichen Beweisaufnahme, sondern auch aus dem Vortrag (einschließlich rechtzeitig eingegangener nachgelassener Schriftsätze) und dem prozessualen Verhalten (Mitwirkungspflichten) der Beteiligten sowie aus dem Inhalt sämtlicher vorliegenden Akten, jeweils nachdem die Beteiligten sich dazu äußern konnten (rechtliches Gehör). Der Umfang des Gesamtergebnisses des Verfahrens wird dabei durch das Klagebegehren, die Ermittlungsarbeit des Gerichts und die Mitwirkung der Beteiligten bestimmt.
Rz. 5
Das FG verstößt gegen § 96 Abs. 1 S. 1 FGO, wenn es seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht. Das FG hat den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen. Zwar muss es in seinem Urteil nicht auf jede Einzelheit des Sachverhalts und des Beteiligtenvortrags ausdrücklich eingehen, da davon auszugehen ist, dass das Gericht auch den Akteninhalt in seine Überlegungen einbezieht, mit dem es sich nicht ausdrücklich auseinandersetzt. Es verletzt jedoch seine Pflicht zur vollständigen Berücksichtigung des Streitstoffs, wenn es einen bestimmten Tatsachenvortrag erkennbar unberücksichtigt lässt, obwohl dieser auf der Basis seiner materiell-rechtlichen Auffassung entscheidungserheblich sein kann.
Rz. 6
Ausnahmsweise dürfen solche Tatsachen vom Gericht nicht verwertet und in die Urteilsbegründung eingefügt werden, von denen das Gericht zwar Kenntnis erlangt hat, die aber etwa wegen des entgegenstehenden Steuergeheimnisses nicht allen Beteiligten zugänglich gemacht worden sind. Des Weiteren zählen Tatsachen und Beweismittel, die präkludiert sind, nicht zum Gesamtergebnis des Verfahrens.
2.2 Freie Überzeugung
2.2.1 Allgemeines
Rz. 7
Das Gericht entscheidet nach seiner freien Überzeugung. Das bedeutet, dass es für die Feststellung und Würdigung der dem Urteil zugrunde zu legenden Tatsachen allein auf die innere Überzeugung der beteiligten Richter ankommt. Die Überzeugung i. S. d. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO bezieht sich allein auf die Tatsachenfeststellung und -würdigung, nicht jedoch auf rechtliche Fragen.
2.2.2 Überzeugungsgrad (Beweismaß)
2.2.2.1 Gewissheit (Vollbeweis)
Rz. 8
Das Gericht entscheidet gem. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO nach seiner freien Überzeugung. Dieser Grundsatz bedeutet, dass das Gericht von dem Vorliegen der dem Urteil zugrunde gelegten Tatsachen überzeugt sein muss. Zur Überzeugungsbildung i. S. d. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO ist erforderlich, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Der Richter darf dabei nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
2.2.2.2 Geringerer Überzeugungsgrad (reduziertes Beweismaß)?
Rz. 9
Zweifelhaft ist, ob ein geringerer Überzeugungsgrad außer in den gesetzlich zugelassenen Fällen ("Glaubhaftmachung") zur Tatsachenfeststellung ausreicht. Teilweise wird ...