2.2.1 Allgemeines
Rz. 7
Das Gericht entscheidet nach seiner freien Überzeugung. Das bedeutet, dass es für die Feststellung und Würdigung der dem Urteil zugrunde zu legenden Tatsachen allein auf die innere Überzeugung der beteiligten Richter ankommt. Die Überzeugung i. S. d. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO bezieht sich allein auf die Tatsachenfeststellung und -würdigung, nicht jedoch auf rechtliche Fragen.
2.2.2 Überzeugungsgrad (Beweismaß)
2.2.2.1 Gewissheit (Vollbeweis)
Rz. 8
Das Gericht entscheidet gem. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO nach seiner freien Überzeugung. Dieser Grundsatz bedeutet, dass das Gericht von dem Vorliegen der dem Urteil zugrunde gelegten Tatsachen überzeugt sein muss. Zur Überzeugungsbildung i. S. d. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO ist erforderlich, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Der Richter darf dabei nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
2.2.2.2 Geringerer Überzeugungsgrad (reduziertes Beweismaß)?
Rz. 9
Zweifelhaft ist, ob ein geringerer Überzeugungsgrad außer in den gesetzlich zugelassenen Fällen ("Glaubhaftmachung") zur Tatsachenfeststellung ausreicht. Teilweise wird dies in Fällen der Verletzung von Mitwirkungspflichten oder auch in Fällen der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen angenommen. M. E. ist von einem geringeren Überzeugungsgrad außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen grundsätzlich zurückhaltend Gebrauch zu machen. Jedenfalls sollte die Beweiswürdigung einer Beweismaßreduzierung vorrangig sein.
2.2.2.3 Glaubhaftmachung
Rz. 10
Reicht nach dem Verfahrensrecht statt des Nachweises von Tatsachen deren Glaubhaftmachung aus, kann sich das Gericht seine Überzeugung nach einem geringeren Überzeugungsgrad bilden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Allerdings erfordert die Glaubhaftmachung die nachvollziehbare, schlüssige und lückenlose Darstellung des Sachverhalts. Zur Glaubhaftmachung ist auch die Versicherung an Eides Statt zugelassen.
2.2.3 Freie Überzeugungsbildung
2.2.3.1 Allgemeines
Rz. 11
Das Gericht bildet sich seine Überzeugung "frei". Dies bedeutet, dass sich die innere Überzeugung der Richter anhand der Denkgesetze, anerkannten Erfahrungs- und Auslegungsgrundsätze bilden muss, wobei es keine festen starren Regeln gibt. Das Gericht hat dabei im Einzelnen darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat. Die subjektive Gewissheit des Tatrichters vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen Sachverhalts muss auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Beweiswürdigung beruhen, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen werden.
Rz. 12
Das Gericht muss die Tatsachen, die der Tatbestand einer Rechtsnorm erfordert, zu seiner Überzeugung im vorgenannten Sinn feststellen. Auf diese Tatsachen kommt es unmittelbar an. Lassen sich solche Tatsachen nicht feststellen, gibt es aber häufig sog. Hilfstatsachen (Indizien), aus denen sich mittelbar auf die Haupttatsachen schließen lässt. Ein Indizienbeweis ist auch im Finanzgerichtsprozess grundsätzlich möglich. Wenn die Hilfstatsachen zur Überzeugung des Gerichts festgestellt sind, muss in einem zweiten Schritt auch der Schluss auf die zu beweisenden Haupttatsachen im vorgenannten Sinn zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden.
Rz. 13
Die Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens ist keine Sachverhaltsermittlung, sondern Rechtsanwendung nach Abschluss der Sachaufklärung und damit revisionsgerichtlich voll überprüfbar. Der BFH kann prüfen, ob das FG im Rahmen seiner Würdigung gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder die Verfahrensordnung verstoßen hat. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen...