Rz. 46

Anspruch auf rechtliches Gehör haben zunächst alle Beteiligten[1], auch Behörden. Aber auch sonst von der Entscheidung rechtlich betroffene Dritte haben einen Anspruch auf Gehör z. B. insoweit, als ihre Anträge auf Beiladung entgegenzunehmen und zu bescheiden sind. Der Anspruch steht nur den am finanzgerichtlichen Verfahren Beteiligten zu.[2]

 

Rz. 47

Über § 96 Abs. 2 FGO hinaus, der nur von Urteilen spricht, gilt das Recht auf rechtliches Gehör gemäß dem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG in allen finanzgerichtlichen Verfahren und Verfahrensabschnitten, also auch in selbstständigen und unselbstständigen Beschlussverfahren und unabhängig von der Verfahrensweise.[3]

Lehnt das Gericht zu Unrecht einen Antrag auf Aufhebung oder Verlegung der mündlichen Verhandlung ab, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.[4] Ggf. ist wegen nachträglich eingehender Schriftsätze auch die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.[5] Rechtliches Gehör ist z. B. auch in Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung[6], Wiedereinsetzung[7], Prozesskostenhilfe[8], Richterablehnung[9] und Urteilsberichtigung oder Ergänzung[10] oder im Verfahren nach billigem Ermessen[11] zu gewähren.

[2] BFH v. 27.8.1991, VIII R 84/89, BStBl II 1992, 9 für den Fall eines zum Vorwurf der Steuerhinterziehung nicht mehr gehörten Erblassers.
[3] Stapperfend, in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 96 FGO Rz. 60.
[5] BFH v. 29.11.1990, IV R 30/90, BFH/NV 1991, 531; Lange, in HHSp, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 301ff.

5.2.1 Rechtliches Gehör zu Tatsachen und Beweisergebnissen

 

Rz. 48

Nach § 96 Abs. 2 FGO müssen die Beteiligten sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen, auf die das Urteil sich stützen soll, äußern können. Daraus folgt zunächst eine Informationspflicht des Gerichts gegenüber den Beteiligten. Das Gericht muss die Beteiligten über den Stand des Verfahrens auf dem Laufenden halten, indem es die jeweils gegnerischen Schriftsätze zusendet[1], von übersandten oder beigezogenen Akten Nachricht gibt.[2] und über die Ergebnisse der selbst angestellten Ermittlungen und Beweisaufnahmen informiert. Ausnahmsweise darf das Gericht auch versehentlich erlangte Kenntnisse nicht an die Beteiligten weitergeben und auch nicht verwerten, wenn dadurch das Steuergeheimnis Dritter verletzt würde.[3] Auch muss das Gericht die Ausführungen und Anregungen der Beteiligten in Erwägung ziehen, wozu auch der Antrag auf Anhörung eines Beteiligten gehört.[4] Es muss entscheidungserheblichen[5] Beweisanträgen nachgehen. Den Beteiligten muss Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Dabei sind die Beteiligten so rechtzeitig zu informieren, dass sie ihre Stellungnahmen nach einer ausreichenden Überlegungs-, Prüfungs- und Erkundigungsfrist abgeben können. Die entsprechenden Fristen sind also angemessen langfristig zu setzen und vom Gericht auf jeden Fall abzuwarten.[6]

[5] BVerfG v. 8.7.1993, 2 BvR 846, 847/93, HFR 1993, 596.
[6] BVerfG v. 24.1.1961, 2 BvR 402/60, BVerfGE 12, 110, 113.

5.2.2 Rechtliches Gehör zu den Rechtsfragen

 

Rz. 49

Nach § 96 Abs. 2 FGO bezieht sich der Anspruch auf rechtliches Gehör nur auf den der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt. Aus § 93 Abs. 1 FGO und aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich aber auch ein Anspruch auf rechtliches Gehör hinsichtlich der entscheidenden Rechtsfragen.[1] So ist z. B. auf eine geänderte höchstrichterliche Rspr. seitens des Gerichts hinzuweisen.[2] Dabei ist eine umfassende, gar die Urteilsbegründung vorwegnehmende rechtliche Erörterung jedoch nicht erforderlich. Das rechtliche Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn das Gericht rechtliche Gesichtspunkte in seiner Entscheidung als maßgebend herausstellt, die im bisherigen Verfahren nicht im Vordergrund standen.[3] Hat ein Beteiligter einen Gesichtspunkt jedoch erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten, muss das Gericht die seiner Meinung nach maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte ansprechen und auch insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme geben.[4]

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