Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Rz. 360
Bis zum 31.12.2003 unterlag die Einfuhr von Gegenständen (aus dem Drittlandsgebiet) in das Inland oder die österreichischen Gebiete Jungholz und Mittelberg der EUSt. Die bis zum 31.12.2003 geltende Fassung setzte voraus, dass der Gegenstand aus dem Drittlandsgebiet in die bezeichneten Gebiete gelangte. Der EUSt unterlag damit der tatsächliche Vorgang des Gelangens des Gegenstands aus dem Drittlandsgebiet in das Inland; der Zeitpunkt der Einfuhr war in sinngemäßer Anwendung der zollrechtlichen Vorschriften der Zeitpunkt des Verbringens von Gegenständen in das Zollgebiet. Maßgeblich war dabei der tatsächliche Vorgang des Überschreitens der Zollgrenze.
Rz. 361
Durch das StÄndG 2003 wurde mWv 1.1.2004 § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG in die bis heute gültige Fassung gebracht, sodass die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg der EUSt unterliegt. Nach der Begründung zum StÄndG 2003 soll die Änderung nur der Klarstellung dienen. Weiter wird zur Begründung ausgeführt: "Die Verwirklichung des umsatzsteuerrechtlichen Einfuhrtatbestands setzt voraus, dass ein Drittlandsgegenstand in das Inland verbracht wird und dieser Vorgang hier steuerbar ist. Für den umsatzsteuerrechtlichen Einfuhrtatbestand ist damit nicht allein entscheidend, dass der Gegenstand aus dem Drittland in das Inland gelangt, sondern hier auch grundsätzlich der Besteuerung unterliegt, d. h. im Regelfall eine Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht. Danach liegt z. B. keine Einfuhr im umsatzsteuerrechtlichen Sinne vor, wenn sich die Drittlandsware in einem zollrechtlichen Versandverfahren befindet." Der EuGH hatte im Zusammenhang mit der Erhebung von Verzugszinsen für Gegenstände, die zuerst im Rahmen eines aktiven Veredelungsverkehrs eingeführt und anschließend in den freien Verkehr der Union überführt wurden, festgestellt, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem der Gegenstand zur Überführung in den freien Verkehr angemeldet wird. In der zum 1.1.2004 erfolgten Änderung wird die richtlinienkonforme Anpassung des Steuertatbestands der Einfuhr gesehen.
Rz. 362
Die Einfuhr ist damit seit dem 1.1.2004 nicht mehr sprachlich an das Gelangen des Gegenstands aus dem Drittlandsgebiet gebunden (tatsächlicher Vorgang), sondern daran, dass der Gegenstand im Inland in den freien Verkehr gebracht wird (rechtlicher Vorgang). Allerdings wurde auch schon vor dem 1.1.2004 ein Gegenstand, der zwar körperlich in das Inland gelangte, sich aber in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren befand, ebenfalls nicht der EUSt unterworfen. Entgegen der Gesetzesbegründung sieht Nieskens jedoch in der Änderung nicht lediglich eine Klarstellung; durch die alleinige Verwendung des Einfuhrbegriffs soll dadurch der tatbestandliche Bestimmtheitsgrundsatz verletzt werden. Zutreffend ist, das der in § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG verwendete Begriff der "Einfuhr" weder im UStG definiert ist, noch über einen gesetzlichen Verweis auf eine außerhalb des UStG normierte Definition geregelt ist. Auch die Überleitungsnorm des § 21 Abs. 2 UStG, die auf die sinngemäß anzuwendenden Vorschriften des Zollrechts verweist, führt nicht zu einem anderen Ergebnis, da der Einfuhrtatbestand auch dort nicht inhaltlich definiert wird.
Rz. 363
Der BFH hat ebenfalls festgestellt, dass der Begriff der "Einfuhr" im UStG nicht definiert ist, hat eine Bestimmung aber anhand der (damals anwendbaren) Vorschrift des Art. 7 der 6. EG-Richtlinie vorgenommen. Danach wird für die Einfuhr vorausgesetzt, dass der betreffende Gegenstand aus dem Drittlandsgebiet über die Grenze des Zollgebiets der Union hinweg in die Union verbracht wird. Dabei ist die Einfuhr in dem Gebiet des Mitgliedstaats erfolgt, in dessen Hoheitsgebiet er sich im Zeitpunkt des Verbringens befindet. Jedoch ist auch der Begriff des Verbringens unionsrechtlich nicht definiert, wird aber häufig mit dem Begriff der Einfuhr gleichgesetzt. Die zum 1.1.2004 vorgenommene Gesetzesänderung erscheint damit unglücklich und sollte durch eine präzisiere Regelung ersetzt werden, die den Übergang von Nichtunionsware in den freien Verkehr der Union erfasst.
Allerdings ist alleine das "Verbringen des Gegenstands" nicht ausreichend, um schon den Einfuhrtatbestand zu erfüllen. Zwar unterliegen die Gegenstände ab dem Zeitpunkt des Verbringens den Regelungen des Unionsrechts, dies ist aber nicht der "Einfuhr" gleichzusetzen. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerschuld bestehen, wenn angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und damit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten. Auch die Entstehung einer Zollschuld (z. B. aufgrund eines zollrechtlichen Fehlverhaltens) führt noch nicht automatisch auch zur Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer.
Rz. 364
Gelangt ein Gegenstand aus dem Drittlandsgebiet in ...