Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Rz. 476b
Nach § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UStG ergibt sich seit dem 1.7.2004 die Bemessungsgrundlage für die als entgeltlich geltenden sonstigen Leistungen durch Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands aus den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Ausgaben. Dazu gehören auch die Anschaffungs- und Herstellungskosten des verwendeten Wirtschaftsguts. Soweit die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mindestens 500 EUR betragen, sind sie über den nach § 15a UStG für das Wirtschaftsgut geltenden Vorsteuerberichtigungszeitraum zu verteilen. Gegenüber der früher verwendeten einkommensteuerlichen Abschreibung auf das Wirtschaftsgut ergibt sich durch die Heranziehung des Berichtigungszeitraums des § 15a Abs. 1 und Abs. 5 S. 2 UStG, dass auch der – nicht einer Abschreibung unterliegende – Grund und Boden in die Bemessungsgrundlage einbezogen wird.
Rz. 476c
Ausgaben sind die Aufwendungen des Unternehmers für die Erbringung der als entgeltlich geltenden sonstigen Leistungen. Zu den Ausgaben gehören auch die Aufwendungen, die aus Zuschüssen finanziert worden sind.
Rz. 476d
Wird zur Erbringung der sonstigen Leistung ein Gegenstand verwendet, gehören nach der ausdrücklichen Regelung des § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 S. 2 UStG auch die Anschaffungs- oder Herstellungskosten für diesen Gegenstand zu den Ausgaben. Für die anderen Fälle der unentgeltlichen sonstigen Leistungen gilt für die seltenen Fälle der Berücksichtigung eines Gegenstands durch die Verweisung in § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 S. 2 UStG Entsprechendes. Gemäß § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 S. 3 UStG sind diese grundsätzlich auf einen Zeitraum zu verteilen, der dem für das Wirtschaftsgut maßgeblichen Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG entspricht, also 5 bzw. 10 Jahre oder jeweils kürzere betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer. Nur wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten weniger als 500 EUR ausmachen, gilt diese Regelung nicht, in diesem Fall sind die Anschaffungs- oder Herstellungskosten sofort im Jahr des Leistungsbezugs zu erfassen.
Rz. 476e
Die Regelung für die Bemessungsgrundlage zu den als entgeltlich geltenden sonstigen Leistungen – vor allem durch Verwendung eines unternehmerischen Gegenstands – ist durch das Richtlinien-UmsetzungsG geschaffen worden. Gemäß Art. 22 Abs. 3 dieses Gesetzes ist sie (rückwirkend) zum 1.7.2004 in Kraft getreten. Sie war wegen der Entscheidung des EuGH und der folgenden BFH-Rechtsprechung als Maßnahme zur Verhinderung fiskalisch unerwünschter Folgen geschaffen worden. Zuvor war bereits durch das BMF zu § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UStG die spätere gesetzliche Ergänzung vorweggenommen und die Vorschrift so ausgelegt worden, wie es nach der Gesetzesänderung der Wortlaut der Vorschrift ausdrückt. Diese Verwaltungsregelung war allerdings vom BFH für unzulässig und daher nicht anwendbar erklärt worden. Zur Verfassungsmäßigkeit und Unionsrechtskonformität s. u. Rz. 476k.
Rz. 476f
Die Auslegung durch die Finanzverwaltung war wie auch später die Ergänzung des § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UStG kritisiert worden. Insbesondere war die unionsrechtliche Grundlage in der 6. EG-Richtlinie umstritten.
Rz. 476g
Gegen die Auffassung der Finanzverwaltung und die Regelung des § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 S. 3 UStG wurde vor allem die Verletzung des Unionsrechts eingewendet. Dieses sehe als Bemessungsgrundlage nur den Teil der Gesamtausgaben an, der auf den Wertverzehr durch die Privatnutzung entfalle. Daher komme nur die übliche Abschreibung, nicht aber eine Anlehnung an die Länge des Berichtigungszeitraums des § 15a Abs. 1 UStG in Betracht.
Rz. 476h
Die in § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 S. 3 UStG enthaltene Regelung erscheint mit dem Neutralitätsgrundsatz des Unionsrechts nur schwer vereinbar. Mit den anteiligen jährlichen Ausgaben für den Wertverzehr durch die Privatnutzung, die nach Auffassung des EuGH die Bemessungsgrundlage für die unentgeltlichen Dienstleistungen bilden, kann der Berichtigungszeitraum des § 15a Abs. 1 UStG nicht gleichgesetzt werden. Die Annahme eines Wertverzehrs von 10 Jahren für ein Gebäude(-teil) erscheint völlig unrealistisch und damit als Bemessungsgrundlage ungeeignet. Insbesondere aber die bewusst beabsichtigte Einbeziehung des Grund und Bodens in die Bemessungsgrundlage durch die Zugrundelegung des Berichtigungszeitraums steht mit dem unionsrechtlich geforderten Ansatz der Ausgaben im Widerspruch, da Grund und Boden sich nicht verbrauchen und daher auch nicht quasi Ausgaben sein können.
Rz. 476i
Weder der Neutralitätsgrundsatz des Mehrwertsteuersystems noch die fiskalischen Folgen des einmal vorgenommenen Vorsteuerabzugs ohne spätere Korrektur durch vollständige Besteuerung können bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Verteilung der Anschaffungs- und Herstellungskosten in der in § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 S. 3 UStG vorgeschriebenen Form rechtfertigen. Der EuGH hat in seinem Seeling-Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das teilweise Nichtversteuern eines Endverbrauchs hier die Folge...