4.1 Übersicht über die Verfassungsbeschwerden
Rz. 18
Gegen § 12 Abs. 1 UStG sind nach Einführung der MwSt in Deutschland mehrere Verfassungsbeschwerden eingelegt worden. Sie richten sich gegen die Anwendung des allgemeinen Steuersatzes
- auf bestimmte gewerbliche Dienstleistungen,
- auf die Umsätze von Schallplatten,
- auf die Lieferungen von Kundenzeitschriften,
- auf die Personenbeförderung im Mietwagenverkehr,
- auf die Umsätze von bestimmten Kunstgegenständen.
Weitere Verfassungsbeschwerden waren gegen die Erhöhung des allgemeinen Steuersatzes von 15 auf 16 % zum 1.4.1998 und von 16 auf 19 % zum 1.1.2007 gerichtet.
4.2 Besteuerung gewerblicher Dienstleistungen
Rz. 19
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden, mit der sich die Beschwerdeführer - Friseure, Chemisch-Reiniger und Wäschereien – dagegen wandten, dass nach dem UStG 1967 bestimmte Dienstleistungen mit einem hohen Anteil eigener Wertschöpfung dem vollen Steuersatz unterliegen und dass Kleinunternehmer nur eine dem früheren Steuersystem entsprechende Bruttoumsatzsteuer von 4 % zu zahlen haben, als unbegründet zurückgewiesen.
Das BVerfG hielt die Differenzierung in der umsatzsteuerlichen Belastung, die sich aus § 12 Abs. 1 und § 19 UStG 1967/1973 ergibt, als mit dem Grundgesetz vereinbar.
Rz. 20
Auch in einer nachfolgenden Entscheidung verbleibt das BVerfG bei seiner Beurteilung, dass die Besteuerung der selbstständigen Friseure mit dem vollen Steuersatz des § 12 Abs. 1 UStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
4.3 Besteuerung der Schallplattenumsätze
Rz. 21
Die Verfassungsbeschwerden 1 BvR 712/68 richteten sich dagegen, dass der Umsatz von Schallplatten dem allgemeinen Umsatzsteuersatz unterliegt, während zahlreichen anderen Lieferungen und sonstigen Leistungen im kulturellen Bereich teils Steuerermäßigung, teils Steuerbefreiung gewährt wird.
Das BVerfG hat auch diese Verfassungsbeschwerden als unbegründet zurückgewiesen. Der Gleichheitssatz i. V. m. der Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG verpflichte den Staat nicht, jede wirtschaftliche Förderungsmaßnahme oder steuerliche Begünstigung allen Bereichen künstlerischen Schaffens gleichermaßen zugute kommen zu lassen; er dürfe vielmehr eine sachgerechte Auswahl der einzelnen Medien und anderen Träger des Kulturlebens treffen, wobei für die Beurteilung der Förderungsbedürftigkeit auch wirtschafts- und finanzpolitische Gesichtspunkte berücksichtigt werden könnten.
4.4 Besteuerung der Umsätze von Kundenzeitschriften
Rz. 22
Kundenzeitschriften, die überwiegend Werbezwecken dienen (Position 4911 des Zolltarifs), gehören nicht zu den nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Nr. 49 der Anlage 2 des UStG steuerbegünstigten Gegenständen. Das BVerfG hat entschieden, dass die Besteuerung derartiger Zeitschriften mit dem allgemeinen Steuersatz nicht gegen die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG verstößt.
4.5 Besteuerung der Personenbeförderungen im Mietwagenverkehr
Rz. 23
Das BVerfG hat entschieden, dass es sowohl mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG als auch mit der durch Art. 12 Abs. 1 GG verbürgten Berufsfreiheit vereinbar ist, dass der Personenverkehr mit Taxis nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG umsatzsteuerrechtlich besser behandelt wird als der Personenverkehr mit Mietwagen. Auch der BFH sah es bislang als verfassungsgemäß an, dass auf Taxifahrten im Personennahverkehr (innerhalb einer Gemeinde bzw. bei Fahrten in eine andere Gemeinde unter 50 km für die einzelne Fahrt) der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG Anwendung findet, während auf Taxifahrten in eine andere Gemeinde mit über mehr als 50 km der allgemeine Steuersatz anzuwenden ist.
Der BFH war sich jedoch nicht sicher, ob die unterschiedliche Besteuerung dem Unionsrecht entspricht. Er hatte deshalb zwei Vorabentscheidungsersuchen zu dieser Thematik an den EuGH gerichtet.
Der EuGH hat entschieden, dass das Unionsrecht (insbesondere der Grundsatz der steuerlichen Neutralität) der Anwendung unterschiedlicher MwSt-Sätze auf die Beförderung von Personen im Nahverkehr einerseits durch Taxis und andererseits durch Mietwagen mit Fahrergestellung nicht entgegensteht, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
- Aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen, denen diese beiden Beförderungsarten unterliegen, muss die Beförderung durch Taxis einen konkreten und spezifischen Aspekt der fraglichen Dienstleistungskategorie (Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks) darstellen.
- Diese Unterschiede müssen einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung des durchschnittlichen Nutzers für eine dieser Beförderungsarten haben.
Diesen Grundsätzen folgend entschied der BFH in seinen Nachfolgeentscheidungen, dass der ermäßigte USt-Satz für Personenbeförderungsleistungen im Nahverkehr durch Taxen unionsrechtskonform ist und grundsätzlich nicht für entsprechende Leistungen der Mietwagenunternehmer gilt. Anders könne es jedoc...