3.1 Zwei-Steuersatz-System, ergänzt um einen Nullsteuersatz
Rz. 8
Der Gesetzgeber hatte sich bereits bei der Einführung der MwSt in Deutschland zum 1.1.1968 für lediglich zwei Steuersätze entschieden. Dementsprechend sah die Vorschrift des § 12 UStG bis zum 31.12.2022 nur zwei Steuersätze vor. Erst zum 1.1.2023 wurde durch das Jahressteuergesetz 2022 erstmals ein Nullsatz (entspricht im Ergebnis einer Steuerbefreiung, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließt) in § 12 Abs. 3 UStG für die Lieferungen und Installation von Fotovoltaikanlagen eingeführt. § 12 Abs. 1 UStG bestimmt Anwendungsbereich und Höhe des allgemeinen Steuersatzes, § 12 Abs. 2 UStG Anwendungsbereich und Höhe des ermäßigten Steuersatzes und § 12 Abs. 3 UStG den Anwendungsbereich des Nullsteuersatzes. Der allgemeine Steuersatz findet auf alle steuerpflichtigen Umsätze Anwendung, für die nicht der ermäßigte Steuersatz bzw. der Nullsteuersatz gilt. Der ermäßigte Steuersatz betrug v. 1.1.1968 bis zum 31.12.1992 die Hälfte des allgemeinen Steuersatzes, ohne dass hierfür zwingende EU-rechtliche oder andere Gründe bestanden hätten. Erstmals bei der Anhebung des allgemeinen Steuersatzes von 14 auf 15 % zum 1.1.1993 hat der Gesetzgeber den ermäßigten Steuersatz von 7 % nicht mit angehoben. Er hat dies mit sozialpolitischen Erwägungen begründet. Auch bei den Anhebungen des allgemeinen Steuersatzes von 15 auf 16 % zum 1.4.1998 und von 16 auf 19 % zum 1.1.2007 ist der ermäßigte Steuersatz jeweils unverändert bei 7 % geblieben. Deshalb wäre es auch bei eventuellen weiteren Anhebungen des allgemeinen Steuersatzes denkbar, dass der ermäßigte Steuersatz im Rahmen der EU-rechtlichen Vorgaben entweder beibehalten oder sogar gesenkt wird.
Rz. 9
Bis zum 31.12.1992 war nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben weder die Zahl noch die Höhe der Steuersätze vorgeschrieben. Erst durch die so genannte Steuersatz-Richtlinie (92/77/EWG) des Rates v. 19.10.1992 ist der Normalsatz mWv 1.1.1993 auf einen Mindestsatz von 15 % festgelegt worden. Außerdem konnten die Mitgliedstaaten nach dieser Steuersatz-Richtlinie einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden, die nicht niedriger als 5 % sein durften, aber nur auf die Lieferungen von Gegenständen und auf die Dienstleistungen, die in Anhang H zu dieser Richtlinie aufgeführt sind. Nach der bereits durch Gesetz v. 25.2.1992 mWv 1.1.1993 vorgenommenen Anhebung des allgemeinen Steuersatzes von 14 auf 15 % unter Beibehaltung des ermäßigten Steuersatzes von 7 % entspach das damalige deutsche Recht grundsätzlich den unionsrechtlichen Vorgaben. Nach Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL i. d. F. bis 5.4.2022 konnten die EU-Mitgliedstaaten weiterhin einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden. Dies galt ebenfalls nur für die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der nun in Anhang III MwStSystRL genannten Kategorien.
Rz. 9a
Durch die EU-Richtlinie v. 5.4.2022 wurde Art. 98 MwStSystRL geändert. Danach können die EU-Mitgliedstaaten ab dem 6.4.2022 grundsätzlich weiterhin einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden, die mindestens 5 % betragen müssen (Art. 98 Abs. 1 MwStSystRL i. d. F. ab 6.4.2022). Zusätzlich zu diesen zwei ermäßigten Steuersätzen können sie aber unter bestimmten Beschränkungen einen weiteren ermäßigten Steuersatz von weniger als 5 % (stark ermäßigter Steuersatz) und eine Steuerbefreiung mit Recht auf Vorsteuerabzug (sog. Nullsteuersatz) anwenden (Art. 98 Abs. 2 MwStSystRL i. d. F. ab 6.4.2022). Die Bundesrepublik Deutschland hat gleichwohl im deutschen Recht bis zum 31.12.2022 an nur einem ermäßigten Steuersatz von zuletzt 7 % festgehalten (§ 12 Abs. 2 UStG). Deutschland hat jedoch durch das Jahressteuergesetz 2022 erstmals mWv 1.1.2023 einen Nullsteuersatz in § 12 Abs. 3 UStG für die Lieferung und Installation von Fotovoltaikanlagen eingeführt (Rz. 67f, § 12 Abs. 3 UStG Rz. 1ff.).
3.2 Forderungen nach einem einheitlichen Steuersatz
Rz. 10
Im Verlauf der Diskussion im Vorfeld der Einführung der MwSt in Deutschland zum 1.1.1968 war zunächst zwar mehrfach die Forderung nach einem einheitlichen Steuersatz erhoben worden. Der Vorteil eines einheitlichen Steuersatzes läge in erster Linie in seinem Vereinfachungseffekt, weil zahlreiche Abgrenzungsschwierigkeiten, die mit jeder Differenzierung zwangsläufig verbunden sind, vermieden worden wären und insbesondere die Technik der Rechnungserteilung und Aufzeichnungen wesentlich einfacher gewesen wäre. Im Übrigen hätte ein einheitlicher Steuersatz erheblich unter dem damaligen allgemeinen Steuersatz (10 %) liegen können, ohne das Steueraufkommen zu gefährden. Die Forderung nach einem einheitlichen Steuersatz ließ sich jedoch nicht realisieren. Denn aus sozialpolitische...