Rz. 146

Der unbestimmte Rechtsbegriff der Uneinbringlichkeit ist im Umsatzsteuerrecht wie im Einkommensteuerrecht nicht definiert und auch sonst nicht genau fixiert worden. Er ist vielmehr durch die Verwaltung und Rechtsprechung anhand des Sinns und Zwecks der Anwendungsvorschrift kasuistisch ausgelegt worden, ohne dass eine endgültige Klärung des Begriffs in den Fällen vor einer Insolvenz bisher gelungen ist. Maßgebend müssen weiterhin die Umstände des Einzelfalls sein. Die Uneinbringlichkeit nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG ist als umsatzsteuerrechtlich autonom zu verstehen.[1] Einerseits kann nicht gefordert werden, dass der Zahlungsbetrag endgültig ausgefallen ist. Andererseits kann eine einfache Gefährdung oder Verzögerung der Entrichtung nicht als Uneinbringlichkeit betrachtet werden. Die Verzögerung der Zahlung durch den Leistungsempfänger bei Fälligkeit reicht also nicht aus.[2] Der BFH hält weiterhin an seiner Rechtsprechung fest, dass eine bloße Zahlungsverzögerung für die Annahme einer Uneinbringlichkeit nicht ausreicht.[3] Im Übrigen ist eine volle Uneinbringlichkeit ebenso möglich wie eine teilweise Uneinbringlichkeit.[4] Der Eintritt der Uneinbringlichkeit eines vereinbarten Entgelts ist keine von einem Willen getragene Rechtshandlung i. S. d. § 129 InsO. Sie ist vielmehr eine anhand objektiver Kriterien zu ermittelnde Tatsache, mag der Eintritt auch zuvor durch Rechtshandlungen bewirkt worden sein.[5]

 

Rz. 147

Außerhalb einer vorläufigen oder endgültigen Insolvenzverwaltung wird eine Forderung regelmäßig uneinbringlich i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG, soweit der Leistungsempfänger den Rechtsgrund und/oder die Höhe des geforderten Entgelts substantiiert bestreitet. Auch eine Vereinbarung mit dem Gläubiger, er werde seine Forderung nur noch in bestimmtem Umfang einfordern, führt zu ihrer teilweisen Uneinbringlichkeit. Die Forderung kann auch dann "auf absehbare Zeit" vollständig uneinbringlich werden, wenn sie auf Grundlage einer Fälligkeitsvereinbarung erst mehr als zwei Jahre nach der Leistungserbringung zu begleichen ist. Bei Gewährleistungsansprüchen des Leistungsempfängers kann eine Korrektur des Steuerbetrags und des Vorsteuerabzugs bereits im Zeitpunkt der Leistungserbringung gerechtfertigt sein, wenn der Leistungserbringer seine Forderung infolge der Gewährleistungseinrede über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren nicht einfordern kann. Andererseits rechtfertigt eine vorübergehende Zahlungsverzögerung des Leistungsempfängers noch nicht die Annahme der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit "auf absehbare Zeit". Dies kann erst der Fall sein, wenn sich der Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen und den Einziehungsversuchen des Gläubigers erfolgreich entzieht. Der Begriff der Uneinbringlichkeit ist im Übrigen umsatzsteuerrechtlich autonom auszulegen. Kaufmännische Gesichtspunkte sind bereits deshalb nicht von Belang, weil eine (aus kaufmännischer Sicht werthaltige) Forderung aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht vorläufig uneinbringlich sein kann. Auch ertragsteuerlich zulässige pauschale oder individuelle Wertberichtigungen des Nennwertes führen noch nicht zur Uneinbringlichkeit der Forderung i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG.[6] Nach h. M. ist der Begriff der Uneinbringlichkeit weit auszulegen[7], da bereits bei einer gewissen Wahrscheinlichkeit des künftigen Ausfalls der Gegenleistung die vom Leistenden vorfinanzierte Steuerbelastung und die dem Leistungsempfänger zugekommene Bereicherung um den Vorsteuerabzug wieder abzunehmen ist.[8] Das Unionsrecht enthält für die Annahme einer Uneinbringlichkeit in Art. 90 MwStSystRL einen weiten Spielraum für die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten[9], der allerdings aus Gründen des Neutralitätsgrundsatzes Einschränkungen unterliegt.[10] Hierzu wird zunehmend darauf hingewiesen, dass das Prinzip der Sollversteuerung im deutschen Umsatzsteuerrecht gerade deswegen im Bereich der Uneinbringlichkeit zu erheblicher Verzerrung führt, weil der Leistende als Steuereintreiber für den Fiskus fungiere und dieses gerade im Bereich der Uneinbringlichkeit zu unangemessenen oder gar verfassungswidrigen Belastungen des Leistenden führe. Der BFH hatte diesen Gedanken aufgegriffen und einen Fall mit langjähriger Ratenzahlungsvereinbarung dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, in dem auch Fragen der Sollversteuerung und der "Steuereintreiberfunktion" des Leistenden erfragt wurden.[11]

Zu der daraufhin ergangenen EuGH-Entscheidung[12] s. Rz. 28. Der EuGH hat sich darin mit den Zweifeln des BFH, dass die mit der Sollbesteuerung einhergehende Vorfinanzierungspflicht der Unternehmen in Fällen, in denen der Leistungsempfänger das Entgelt erst zu einem späteren Zeitpunkt zahlt, den unionsrechtlichen Grundsätzen entspricht, nicht näher auseinandergesetzt.

Bisher nimmt der BFH in ständiger Rechtsprechung eine Uneinbringlichkeit an, wenn "der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wurde und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen sei, dass der ...

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