Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
3.5.1 Kalenderjahresbezogene Betrachtung
Rz. 112
Die Gestattung zur Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten erstreckt sich immer nur auf volle Kalenderjahre. Begründet wird dies mit dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung. Damit ist auch der Widerruf der Gestattung zur Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten immer nur für ganze Kalenderjahre möglich.
Rz. 113
Auch nach einem Widerruf der Gestattung durch die Finanzverwaltung erstreckt sich die Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten auf ganze Kalenderjahre. Während die Finanzverwaltung früher offensichtlich davon ausging, dass auch ein unterjähriger Wechsel in Betracht kommen kann, wurde diese Auffassung nach Abschn. 20.1 Abs. 1 S. 4 UStAE wohl aufgegeben.
3.5.2 Probleme bei unterjähriger Änderung der Rechtslage
Rz. 114
In der Vergangenheit sind bisher zweimal die Gesamtumsatzgrenzen unterjährig angehoben worden:
- Zum 1.7.2006 wurde für die Unternehmer in den alten Bundesländern die Gesamtumsatzgrenze von 125.000 EUR auf 250.000 EUR angehoben und
- zum 1.7.2009 wurde – ebenfalls für die Unternehmer in den alten Bundesländern – die Gesamtumsatzgrenze von 250.000 EUR (damals befristet) auf 500.000 EUR angehoben. Durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes wurde mit Wirkung zum 1.1.2012 diese Grenze dann aber bundeseinheitlich unbefristet (bis zur Anhebung auf 600.000 EUR zum 1.1.2020) in § 20 S. 1 Nr. 1 UStG aufgenommen.
Rz. 115
Mit dieser unterjährigen Anhebung der Gesamtumsatzgrenze hatte der Gesetzgeber ohne Not Probleme in der Praxis geschaffen und die Finanzverwaltung genötigt, ausnahmsweise auch unterjährig einen Wechsel der Besteuerungsart zu gestatten, um nicht die eigentlich politisch gewollte Begünstigung erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten zu lassen. Systematisch wäre es sinnvoller gewesen, gesetzlich eine Rückwirkung der Anhebung der Gesamtumsatzgrenze zum Beginn des Kalenderjahres zu regeln, wie es auch zum 1.1.2024 durch die erst Ende März 2024 verkündete Anhebung auf 800.000 EUR erfolgt ist.
Rz. 116
Sowohl zum 1.7.2006 als auch zum 1.7.2009 hatte die Finanzverwaltung einen unterjährigen Wechsel zur Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten zugelassen, allerdings nur für den jeweils zweiten Teil des Jahres. Ein rückwirkender Wechsel für die Voranmeldungszeiträume, die vor dem 1.7. endeten, war danach nicht möglich. Das machte in besonderen Fällen einen kurzzeitigen Wechsel des Besteuerungsverfahrens für Unternehmer notwendig.
Beispiel: Unterjähriger Wechsel des Besteuerungsverfahrens in 2009
Unternehmer U mit einem zuständigen FA in München hatte in 2008 zulässigerweise die Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten vorgenommen, da sein Gesamtumsatz 2007 nicht mehr als 250.000 EUR betragen hatte. 2008 hatte U einen Gesamtumsatz i. H. v. 300.000 EUR erzielt, sodass er ab dem 1.1.2009 die Steuer nach vereinbarten Entgelten berechnen musste.
Da der Gesamtumsatz in 2008 aber nicht mehr als 500.000 EUR betragen hatte, konnte er – nach Anhebung der Gesamtumsatzgrenze gem. § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG 2009 auf 500.000 EUR – ab dem 1.7.2009 wieder die Gestattung der Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten beantragen. Im Ergebnis musste U damit für die Zeit v. 1.1.2009 bis 30.6.2009 die USt nach vereinbarten Entgelten berechnen.