Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Rz. 29
Nach § 69 Abs. 3 UStDV darf ein Unternehmer, der im vorangegangenen Kj. einen Umsatz von mehr als 61.356 EUR erzielt hat, die Durchschnittssätze nicht in Anspruch nehmen. Bezug genommen wird bei der Frage der Umsatzgrenze auf die Definition des Umsatzes nach § 69 Abs. 2 UStDV. Zu den Einzelheiten bezüglich der Ermittlung der maßgeblichen Umsatzgrenze vgl. Rz. 62f. Eine einheitliche, für alle Unternehmen geltende Umsatzgrenze wurde erst zum 1.1.1980 mit Einführung der UStDV und der Übernahme der Detailregelungen zur Durchschnittssatzbesteuerung in die UStDV mit aufgenommen. Vor dem 1.1.1980 wurde auf den Gesamtumsatz (des gesamten Unternehmens) abgestellt, wobei es für bestimmte Unternehmer unterschiedliche Gesamtumsatzgrenzen gab. Seit der Umstellung auf die Umsatzgrenze in § 69 Abs. 3 UStDV hat sich diese wie folgt entwickelt:
Zeitraum |
Umsatzgrenze nach § 69 Abs. 3 UStDV |
1.1.1980 bis 31.12.1992 |
100.000 DM |
1.1.1993 bis 31.12.2001 |
120.000 DM |
seit dem 1.1.2002 |
61.356 EUR |
Rz. 30
Wird die Umsatzgrenze in dem vorangegangenen Jahr nicht überschritten, kommt es auf die Umsätze des laufenden Jahrs nicht mehr an, eine Prognose für die zukünftigen Umsätze muss der Unternehmer deshalb nicht vornehmen. Der Gesamtumsatz nach § 19 Abs. 3 UStG ist (seit dem 1.1.1980) für die Beurteilung der Anwendbarkeit der Durchschnittssätze ohne Bedeutung.
Rz. 31
Die Umsatzgrenzen beziehen sich auf die jeweiligen Berufs- oder Gewerbezweige i. S. d. Anlage zur UStDV. Es ist somit für jeden dieser Bereiche der Umsatz i. S. d. § 69 Abs. 3 UStDV getrennt zu ermitteln und zu überprüfen, ob hier eine Ermittlung nach Durchschnittssätzen in Betracht kommt.
Prüfung der Umsatzgrenze
Unternehmer U hat im Kj. 2020 Umsätze von insgesamt 120.000 EUR erzielt. Von diesem Umsatz entfallen 45.000 EUR auf den Betrieb einer Eisdiele und 75.000 EUR auf den Betrieb einer Bäckerei. U kann im Kj. 2021 für den Betrieb der Eisdiele die Durchschnittssätze nach § 23 UStG in Anspruch nehmen, da der Umsatz in diesem Betrieb nicht über der Grenze des § 69 Abs. 3 UStDV liegt. Im Betrieb der Bäckerei kann er in 2021 die Durchschnittssätze nicht in Anspruch nehmen, da der maßgebliche Umsatz die Grenze von 61.356 EUR überschritten hat.
Rz. 32
Zu beachten ist aber, dass die innerhalb eines Berufs- oder Gewerbezweigs i. S. d. Anlage zur UStDV ausgeführten verschiedenen Tätigkeiten zusammenzurechnen sind.
Zusammenrechnung verschiedener Tätigkeiten eines Berufszweigs
Rechtsanwalt und Notar N betreibt eine Rechtsanwaltspraxis und ein Notariat. Beide Tätigkeiten sind in der gleichen Berufsgruppe (Abschnitt B Nr. 4) genannt, sodass für die Prüfung der maßgeblichen Umsatzgrenze beide Tätigkeiten einheitlich zu betrachten sind. Liegt die Summe beider Tätigkeiten über der Umsatzgrenze des § 69 Abs. 3 UStDV, kann von N für beide Tätigkeiten die Besteuerung nach § 23 UStG nicht in Anspruch genommen werden.
Getrennte Ermittlung bei unterschiedlichen Berufszweigen
Rechtsanwalt und Steuerberater S betreibt eine Rechtsanwaltspraxis und ein Steuerbüro. Beide Tätigkeiten sind in verschiedenen Berufsgruppen (Abschnitt B Nr. 4 und Nr. 6) genannt, sodass bei der Prüfung der maßgeblichen Umsatzgrenze zum einen der Umsatz aus der Rechtsanwaltspraxis und zum anderen der Umsatz aus dem Steuerbüro zu prüfen ist. Wenn in einem oder beiden Betrieben die Umsatzgrenze nicht überschritten ist, kann S insoweit die Besteuerung nach § 23 UStG in Anspruch nehmen.
Rz. 33
Eine getrennte Ermittlung der maßgeblichen Umsatzgrenzen kommt bei verschiedenen Betriebsstätten eines der in der Anlage zur UStDV genannten Berufs- oder Gewerbezweigs nicht in Betracht. Sämtliche Betriebsstätten eines Unternehmers gelten insoweit als ein Betrieb i. S. d. Rechtsvorschrift.
Rz. 34
Wenn der Unternehmer seinen Betrieb im vorangegangenen Kj. eröffnet und somit Umsätze nur in einem Teil des vorangegangenen Kalenderjahrs ausgeübt hat, ist der in dem Vorjahr erzielte Umsatz auf einen Jahresumsatz umzurechnen; die Vorschriften zu § 19 Abs. 3 UStG gelten insoweit sinngemäß (Abschn. 23.1 Abs. 3 UStAE).
Rz. 35
Bei der Eröffnung eines Betriebs in einem Kj. sind für die Prüfung der Umsatzgrenze die voraussichtlichen Umsätze des Jahrs i. S. d. § 69 Abs. 2 UStDV maßgeblich. Sollte die Umsatzgrenze des § 69 Abs. 3 UStDV dann – entgegen der Prognose – doch überschritten werden, ist dies für die laufende Periode unbeachtlich (Abschn. 23.1 Abs. 3 UStAE).
Rz. 36
Geht ein Betrieb im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge über, ist für die Berechnung der Umsatzgrenze nach § 69 Abs. 3 UStDV nur auf den Zeitraum ab dem Rechtsübergang abzustellen. Der Erwerber tritt zwar in die Rechtsposition des Vorgängers ein, die Unternehmereigenschaft ist aber grundsätzlich im Umsatzsteuerrecht nicht übertragbar. Der Erwerber muss in eigener Person die Voraussetzungen des Unternehmers nach § 2 Abs. 1 UStG erfüllen. Insoweit kann für die Umsätze des Erwerbers nach dem Wortlaut des § 69 Abs. 3 UStDV nur auf die zukünftigen Umsätze abges...