Rz. 60
Aus dem in § 2b Abs. 3 Nr. 2 S. 2 UStG enthaltenen Begriff "regelmäßig" könnte gefolgert werden, dass ein gemeinsames spezifisches öffentliches Interesse auch dann vorliegen kann, wenn die in Buchst. a bis d aufgeführten Voraussetzungen nicht oder nicht vollständig erfüllt sind. Die Aufzählung der Merkmale wäre dann nur beispielhaft. § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG könnte auch als erfüllt angesehen werden, wenn andere Argumente für das Vorliegen eines gemeinsamen spezifischen öffentlichen Interesses angeführt werden können. Eine solche die Nichtsteuerbarkeit begünstigende Auslegung dürfte allerdings weder mit dem Regelungszweck des § 2b UStG noch mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Vielmehr spricht – wie bereits in Bezug auf die grundsätzliche Übertragbarkeit vergaberechtlicher Wertungen – das aus dem Charakter des § 2b UStG als Ausnahmeregel von der Besteuerung folgende Gebot der engen Auslegung für eine weite Auslegung der den Anwendungsbereich der Regelung einschränkenden Ausnahmetatbestände. Nach einer dieser Methodik folgenden Auslegung des Begriffs "regelmäßig", die sich an der vom BFH in Bezug auf die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für Leistungen gemeinnütziger Einrichtungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG vertretenen Ansicht orientiert, beschreiben die Buchstaben a bis d Mindestanforderungen, deren Vorliegen für die Annahme fehlender Wettbewerbsverzerrungen im Regelfall ausreicht, aber je nach Ausgestaltung des Einzelfalls einer ergänzenden, an den Wertungen des Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL orientierten, Beurteilung unterzogen werden müssen.
Rz. 61
Eine Rückausnahme wäre danach insbesondere erforderlich, wenn das Vorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen trotz der Erfüllung aller in § 2b Abs. 3 Nr. 2 S. 2 UStG genannter Tatbestandsmerkmale evident ist. Problematisch könnte dies in Fällen sein, in denen eine jPöR zur Durchführung ihr obliegender Aufgaben zunächst private Unternehmer mit einzelnen Leistungen beauftragt und damit u. U. sogar einen Markt erst geschaffen hat, nunmehr aber dazu übergeht, die gleichen Leistungen zu günstigeren Preisen von einer anderen jPöR zu beziehen. Würde beispielsweise ein Landkreis mit der bislang an private Entsorgungsunternehmer vergebenen Durchführung der Hausmüllabfuhr nunmehr einen Nachbarkreis (auf der Basis eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gegen Kostenerstattung) beauftragen, würde dies grundsätzlich die Kriterien des § 2b Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 2 UStG erfüllen: es handelte sich um eine auf öffentlich-rechtlichem Vertrag beruhende langfristige Kooperation, die der Erhaltung öffentlicher Infrastruktur (hier der Entsorgungsinfrastruktur) und der Wahrnehmung der beiden beteiligten Kreise obliegenden Aufgabe (hier der Abfallentsorgung) diente, gegen Kostenerstattung erbracht würde und vom Nachbarkreis auch nicht in gleichartiger Weise an Private erbracht wird. Nach den allgemeineren Maßstäben des Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL käme man in einem solchen Fall dagegen zumindest dann zur Steuerbarkeit, wenn der Preisvorteil bei Beauftragung des Nachbarkreises nicht über die ersparte USt hinausgeht. Denn dann wäre wohl kaum zu widerlegen, dass ein privater Anbieter, der die nämlichen Leistungen nur umsatzsteuerpflichtig ausführen kann und bislang auch ausgeführt hat, durch die Nichtbesteuerung des Nachbarkreises erheblich benachteiligt wird. Der Zweck der Wettbewerbsklausel des Unionsrechts besteht offensichtlich gerade darin, in Fällen wie diesem eine Besteuerung der jPöR sicherzustellen.
Rz. 62
Die Vorschrift muss daher i. S. v. Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL unionsrechtskonform einschränkend ausgelegt werden. Die Erfüllung der in § 2b Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. a bis d UStG genannten Kriterien genügt danach für die Feststellung fehlender Wettbewerbsverzerrungen alleine nicht. In Fällen evidenter Wettbewerbsbeeinträchtigung ist das Subsumtionsergebnis zu korrigieren. Der Begriff "regelmäßig" lässt eine solche unionsrechtlich gebotene einschränkende Auffangbetrachtung bereits dem Wortlaut nach zu. Der Gesetzesbegründung ist in dieser Hinsicht allerdings leider nichts zu entnehmen.
Rz. 62a
Das BMF hat sich der hier vertretenen Auffassung offenbar zwischenzeitlich angeschlossen, geht aber noch darüber hinaus, indem es für eine Bejahung einer Wettbewerbsverzerrung im Rahmen von § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG keine Evidenz verlangt, sondern lediglich darauf abstellen will, ob private Unternehmer potenziell in der Lage sind, vergleichbare Leistungen zu erbringen. Zur Begründung der Auffassungsänderung wird auf eine Diskussion mit der EU-Kommission zu den europarechtlichen Anforderungen an die Auslegung der Regelung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG verwiesen. Damit dürfte das von der EU-Kommission auf den Weg gebrachte Vertragsverletzungsverfahren gemeint sein (Rz. 22a). Möglicherweise kann diese Verschärfung der Verwaltungsauffassung die Einleitung eines solchen verhindern. Problematisch ist allerdings, dass das BMF die Regelung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 USt...