Rz. 26
§ 3e Abs. 1 UStG setzt weiter voraus, dass ein Gegenstand an Bord der bezeichneten Beförderungsmittel geliefert wird. Nach welchen Voraussetzungen zu bestimmen ist, ob eine Lieferung an Bord vorliegt, ist bisher ungeklärt. Lieferung bedeutet Verschaffung der Verfügungsmacht. Die Verfügungsmacht an einem Gegenstand kann nicht nur durch körperliche Übergabe zu Eigentum, sondern auch auf andere Art und Weise verschafft werden, z. B. durch Einigung über den Eigentumsübergang, wenn der Abnehmer den beweglichen Gegenstand bereits besitzt, durch Besitzkonstitut oder durch Übergabe eines sog. Traditionspapiers, z. B. eines Lagerscheins oder Konossements. Denkbar wäre es, für die Beurteilung der Frage, ob eine Lieferung an Bord erfolgt, entscheidend auf die Verschaffung der Verfügungsmacht an Bord abzustellen, gleichgültig ob der gelieferte Gegenstand sich zu diesem Zeitpunkt an Bord befindet oder nicht.
Die Unternehmer A und B befinden sich auf einer Eisenbahnfahrt von Wien nach München. Während der Fahrt verkauft A dem B 10 Tonnen Druckpapier, die sich in einem Lagerhaus in Hamburg befinden, und verschafft ihm die Verfügungsmacht durch Übergabe des Lagerscheins (§ 424 HGB). Nach § 3e Abs. 1 UStG läge der Lieferungsort in Österreich, nach § 3 Abs. 7 S. 1 UStG dagegen in Deutschland.
Rz. 27
Vertretbar wäre nach dem Wortlaut des § 3e Abs. 1 UStG auch die Auffassung, dass eine Lieferung dann an Bord des bezeichneten Beförderungsmittel bewirkt wird, wenn der nach § 3 Abs. 6 bis 8 UStG zu bestimmende Lieferungsort sich an Bord befindet. Nach § 3 Abs. 5a UStG sind die Ortsbestimmungen nach § Abs. 6 bis 8 UStG nur dann nicht anwendbar, wenn die Voraussetzungen des § 3e UStG vorliegen. Hier geht es aber um die Vorfrage, ob die Voraussetzungen des § 3e UStG gegeben sind.
Unternehmer A verschafft dem Unternehmer B durch Übergabe des Konossements in Hamburg die Verfügungsmacht über 100 Tonnen Getreide, die sich auf einem Schiff während einer Fahrt von Genua nach Athen auf hoher See befinden. Nach § 3e Abs. 1 UStG läge der Lieferungsort in Italien, nach § 3 Abs. 7 S. 1 UStG dagegen im Drittlandsgebiet (hohe See).
Rz. 28
Eine dritte Lösung könnte sein, eine Lieferung finde dann an Bord statt, wenn der Liefergegenstand sich im Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht gem. § 3 Abs. 1 UStG an Bord des Beförderungsmittels befindet. Hiernach bräuchte die Verfügungsmacht dem Abnehmer nicht an Bord des Beförderungsmittels verschafft zu werden.
Rz. 29
Alle drei Lösungen dürften nicht dem Sinn und Zweck des § 3e Abs. 1 UStG, der sich durch Rückgriff auf das Unionsrecht und seinem systematischen Zusammenhang mit anderen Besteuerungsbereichen ergibt, entsprechen. Daraus ist zu schließen, dass von der Vorschrift nur die Lieferungen von Gegenständen erfasst werden sollen, die dem Abnehmer (Reisenden) durch körperliche Übergabe an Bord des Beförderungsmittels übertragen werden. Nur für diese typischen Bordlieferungen – z. B. durch Verkaufsstellen an Bord von Schiffen oder Verkaufswagen in Luftfahrzeugen oder Eisenbahnen – soll die besondere Ortsbestimmung nach § 3e UStG gelten. Damit scheidet die Anwendung dieser Vorschrift auch bei Beförderungs- oder Versendungslieferungen i. S. d. § 3 Abs. 6 UStG aus, bei der zwar der Beginn der Beförderung oder Versendung und damit der Ort der Lieferung an Bord des Beförderungsmittels vorliegt, der Abnehmer die Verfügungsmacht aber erst im Zeitpunkt der Aushändigung der Ware, z. B. durch den Frachtführer erlangt.