Rz. 83

Ein Orchester ist ein größer besetztes Instrumentalensemble, das dadurch gekennzeichnet ist, dass zumindest einzelne Stimmen mehrfach ("chorisch") besetzt sind. Im Bereich der klassischen Musik unterscheidet man das groß besetzte Sinfonieorchester von kleineren Kammerorchestern. Daneben gibt es Orchester, die nur aus Instrumenten einer bestimmten Gattung bestehen, z. B. Blasorchester, Streichorchester oder Zupforchester. Jazz-Orchester und ähnliche Formationen der Tanz- und Unterhaltungsmusik werden meist als Big Band bezeichnet.

Zu den Orchestern gehören zwar nach Abschn. 4.10.1 Abs. 1 UStAE alle Musikergruppen, die aus zwei oder mehr Mitwirkenden bestehen.[1] Ein Solist würde demnach diese Voraussetzung nicht erfüllen. Diese Auffassung ist nach der Entscheidung des EuGH[2] nicht mehr haltbar. Der EuGH[3] hat entschieden, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. n MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass der Begriff der "anderen … anerkannten Einrichtungen" als Einzelkünstler auftretende Solisten nicht ausschließt (Rz. 28ff.). Auch Leistungen von Einzelkünstlern (insbesondere im musikalischen Bereich) können daher unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG steuerfrei sein. Solisten können also i. S. d. EuGH-Rechtsprechung ein Orchester gem. § 4 Nr. 20 UStG bilden.[4] Leistungen einzelner Musiker sind auch dann steuerfrei, wenn Bescheinigungen nur für Teile ihrer Tätigkeit (z. B. die Mitwirkung in einem Orchester des Klägers) vorliegen. Sie können daher als Teil des Orchesters, für das die erforderliche Bescheinigung vorliegt, steuerfreie Leistungen gegenüber dem Orchester erbringen, während ihre Leistungen bei anderen Auftritten steuerpflichtig sein können.[5] Gleichermaßen kann die Veranstaltung von Konzerten nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG steuerfrei sein, wenn die Darbietungen von Einzelkünstlern erbracht werden.[6] Auf die Personenzahl (ob ein, zwei oder mehr, Quartett, Quintett usw.), die Art der instrumentalen Besetzung (klassische Instrumente, moderne Blasinstrumente, elektronisch betriebene Instrumente – E-Gitarren –) oder die Art der Musik (z. B. klassische Musik, leichte Musik, Marschmusik usw.) kommt es bei Orchestern nicht weiter an. Auch Musikgruppen aus dem Bereich der Unterhaltungsmusik (Rock, Pop, Jazz usw.) können deshalb ein Orchester bilden. Unter einem Orchester ist i. d. R. ein größerer Klangkörper zu verstehen. Auch eine Kapelle, die mit allen Instrumentenarten besetzt ist, wird als Orchester anerkannt.

 

Rz. 84

Unter den Leistungen der Orchester sind Aufführungen von Musikstücken zu verstehen, bei denen Instrumente und/oder die menschliche Stimme eingesetzt werden[7], sowie die üblicherweise damit verbundenen Nebenleistungen. Typische Leistungen sind die Aufführung von musikalischen Werken, auch zur unmittelbaren Übertragung oder zur Aufzeichnung durch Fernsehen oder Rundfunk sowie als Vorleistungen für Tonträgeraufnahmen (CDs, Kassetten). Bezüglich der mit den Leistungen eng verbundenen Nebenleistungen dürften die gleichen Abgrenzungskriterien wie bei den Theatern zum Tragen kommen (Rz. 79ff.). Befreit sind nach Ansicht des EuGH[8] nicht nur Konzerte von Musik- und Gesangsgruppen, sondern auch von Einzelkünstlern. Im Übrigen ist die Steuerbefreiung für die Aufführung von Konzerten durch die Mitwirkung von Solisten nicht ausgeschlossen. Diese Voraussetzung kann z. B. bei der Aufführung von Oratorienkonzerten als erfüllt angesehen werden. Das gilt entsprechend für die Veranstaltung von Konzerten.

 

Rz. 85

Tonträger (z. B. CDs), die von Orchestern bespielt und in Eigenregie veräußert werden, gehören nicht zu den typischen Leistungen (auch nicht zu den Nebenleistungen) dieser Einrichtungen und sind deshalb nicht steuerbefreit.[9] Die fehlende Steuerbefreiung des Verkaufs von Tonträgern ergibt sich schon aus der erforderlichen Beachtung der unionsrechtlichen Bestimmungen. Nach Art. 134 i. V. m. Art. 132 Abs. 1 Buchst. n MwStSystRL ist eine Steuerbefreiung nicht möglich, da die Lieferungen von Tonträgern für die originär befreiten kulturellen Umsätze nicht unerlässlich sind. Außerdem sind diese Lieferungen im Wesentlichen dazu bestimmt, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen anderer Unternehmen stehen, die der Mehrwertsteuer unterliegen. Die Umsätze aus dem Verkauf von Tonträgern unterliegen auch nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG.

[1] BFH v. 14.12.1995, V R 13/95, BStBl II 1996, 386, BFH/NV 1996, 152 für den Fall einer Chorsängerin.
[3] Und nachfolgend BFH v. 18.2.2010, V R 28/08, BStBl II 2010, 876, BFH/NV 2010, 1206 für die Steuerbefreiung eines Orchestermusikers.
[4] Abschn. 4.20.2 Abs. 1 UStAE mit Hinweis auf BFH v. 18.2.2010, V R 28/08, BStBl II 2010, 876; vgl. zu Leistungen eines Dirigenten nun auch BFH v. 22.8.2019, V R 14/17, BFH/NV 2020, 65, BStBl II 2020, 720.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?