Rz. 49
Nachdem durch die 1. und 2. EWG-Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Einführung der MwSt unter Beachtung gemeinschaftlich festgelegter Grundstrukturen verpflichtet waren, sah die Sechste Richtlinie des Rates v. 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die USt eine umfassende Angleichung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die USt vor, bei der insbesondere auch die Steuerbefreiungen vereinheitlicht wurden. Sie beschränkte die bis dahin verbliebene Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten im Wesentlichen auf den Bereich der Steuersätze.
Rz. 50
Die 6. EWG-Richtlinie verkörperte den bis dahin wichtigsten Rechtsakt zur Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts der Mitgliedstaaten. Sie machte einen großen Schritt auf dem Weg zu der mit der 1. Richtlinie angestrebten Aufhebung der innergemeinschaftlichen Steuergrenzen, dem Endziel der Umsatzsteuer-Harmonisierung. Zugleich erfüllte sie eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung des Finanzierungssystems der EG. Sie legte nämlich die Bemessungsgrundlage für die mit Beschluss des Rates v. 21.4.1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften vollzogene neue Finanzierungsform fest. Nach diesem Beschluss wurde der Haushalt der EWG ab dem 1.1.1975 vollständig aus eigenen Mitteln der Gemeinschaft finanziert. Diese Mittel umfassten Abgaben, z. B. Zölle und Abschöpfungen, auf den Warenverkehr mit Drittstaaten sowie die Mehrwertsteuer-Einnahmen aus der Belastung des Letztverbrauchs. Damit diese sog. Mehrwertsteuer-Eigenmittel nach einem einheitlichen Maßstab erhoben werden konnten, musste mit der 6. EWG-Richtlinie eine einheitliche Bemessungsgrundlage geschaffen werden.
Rz. 51
Gegenwärtig basiert das Eigenmittelsystem auf dem Beschluss des Rates v. 14.12.2020 über das System der Eigenmittel der EU. Zur Finanzierung ihrer Ausgaben verfügt die Europäische Union über "Eigenmittel". Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2020/2053 stellen neben den traditionellen Eigenmitteln in Form von Abschöpfungen, Prämien, Zusatz- oder Ausgleichsbeträgen, zusätzlichen Teilbeträgen und anderen Abgaben, Zöllen des Gemeinsamen Zolltarifs und anderen Zöllen auf den Warenverkehr mit Drittländern u. a. folgende Einnahmen in den Unionshaushalt einzusetzende Eigenmittel dar: Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Abrufsatzes für alle Mitgliedstaaten i. H. v. 0,30 % auf den Gesamtbetrag der auf alle steuerpflichtigen Lieferungen erhobenen MwSt, geteilt durch den für das jeweilige Kalenderjahr gemäß der VO (EWG, Euratom) Nr. 1553/89 berechneten gewogenen mittleren MwSt-Satz, ergeben. Die für diesen Zweck zu berücksichtigende MwSt-Bemessungsgrundlage darf für keinen Mitgliedstaat 50 % des BNE überschreiten.
Nach Art. 10 Buchst. b des Beschlusses legt der Rat nach dem Verfahren des Art. 311 Abs. 4 AEUV Durchführungsmaßnahmen für die notwendigen Bestimmungen und Regelungen zur Kontrolle und Überwachung der Erhebung der in Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses genannten Eigenmittel und etwaiger einschlägiger Mitteilungspflichten fest.
Rz. 52
Die 6. EWG-Richtlinie regelte nur das gemeinsame materielle Umsatzsteuerrecht. Zu diesem Zweck wurden die wichtigsten Modalitäten der Steuerstruktur, wie sie in der 2. EWG-Richtlinie festgelegt wurden, weiter harmonisiert. Steuerliche Verfahrensvorschriften wurden in der Richtlinie nur ansatzweise harmonisiert. Den Mitgliedstaaten wurde im Rahmen der Richtlinie gestattet, weitere Einzelheiten des Besteuerungsverfahrens selbst festzulegen.
Rz. 53
Die 6. EWG-Richtlinie ist in der MwStSystRL aufgegangen und zum 1.1.2007 aufgehoben worden.
Rz. 54
Obwohl z. B. bereits eine abschließende Liste der Steuerbefreiungen festgelegt wurde, konnte für verschiedene andere Bereiche bisher keine obligatorische Unionsrechtsregelung erreicht werden. Hierzu gehören insbesondere:
- Besteuerung von Personenbeförderungen,
- Harmonisierung der Steuersätze
- Liste der Leistungen, auf die eine Steuerermäßigung (reduzierter Steuersatz) angewendet werden kann
- Besteuerung der Lieferungen zur Versorgung von Schiffen, Flugzeugen und Zügen im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten und mit Drittstaaten (sog. Bordvorratsumsätze),
- Ausschluss des Vorsteuerabzugs für bestimmte Ausgaben (Luxus- und Vergnügungsaufwendungen),
- Abbau von Übergangsregelungen zur Beibehaltung von Steuerbefreiungen oder der Steuerpflicht bestimmter Umsätze.