Rz. 202
Die Art. 131–137 MwStSystRL (Steuerbefreiungen im Inland) enthalten eine abschließende Aufzählung von Steuerbefreiungen für bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten, sonstige Steuerbefreiungen für bestimmte Umsatzarten (insbesondere Versicherungs-, Finanz- und Vermietungsumsätze) sowie ein Optionsrecht. Die Befreiungen schließen das Vorsteuerabzugsrecht aus. Die Vorschriften widersprechen dem Prinzip des Art. 2 der 1. EWG-Richtlinie (Abschn. 2.1), dass alle Waren und Dienstleistungen in dem Augenblick, in dem sie beim Verbraucher ankommen, genau entsprechend dem für sie festgesetzten Steuersatz belastet sein sollen. Ein solches Ergebnis kann streng genommen nur bei einem Mehrwertsteuersystem erzielt werden, das keine Steuerbefreiungen kennt. Das Prinzip des Art. 2 der 1. EWG-Richtlinie wird aber in allen Fällen der Befreiung durchbrochen, mit denen ein Verbot des Vorsteuerabzugs verbunden ist. Die nicht abziehbaren Vorsteuern führen zu einer mittelbaren Belastung, die im Fall der Überwälzung auf den Letztverbraucher dazu führt, dass die endgültige Belastung des Verbrauchsguts nicht dem gesetzlichen Steuersatz entspricht. Wird ein steuerbefreiter Umsatz an einen steuerpflichtigen Unternehmer erbracht, der seine Umsätze voll der Steuer unterwerfen muss, führt die beim befreiten Unternehmer nicht abziehbare Vorsteuer – die Überwälzung im Preis vorausgesetzt – zu einer Belastung des Verbrauchsguts beim Letztverbraucher, die höher ist als der gesetzliche Steuersatz (Kumulation). Gelingt die Überwälzung der nicht abziehbaren Vorsteuer nicht, so tritt im Unternehmerbereich eine Belastung ein. Auch dies widerspricht dem System der MwSt, weil sie keine andere Wirkung als eine Einzelhandelssteuer haben soll, d. h. nur der Endverbraucher wirtschaftlich durch die Steuer belastet werden soll. Die Befreiungsvorschriften nach Art. 131f. MwStSystRL wurden aber ungeachtet dessen bewusst eingeführt. Hierbei waren politische Überlegungen maßgebend, insbesondere Umsätze im sozialen und kulturellen Bereich von der USt auszunehmen.
Rz. 203
Art. 138–142 MwStSystRL enthalten die Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen, Art. 143, 144 Steuerbefreiungen bei der Einfuhr sowie die Art. 146–165 Steuerbefreiungen bei Ausfuhren und sonstigen grenzüberschreitenden Umsätzen (alle mit Vorsteuerabzugsrecht).
2.3.10.1 Steuerbefreiungen im Inland
Rz. 204
Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten von öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführte Dienstleistungen und die dazugehörigen Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme der Personenbeförderung und der Telekommunikationsdienstleistungen von der MwSt befreien. Was unter "öffentliche Posteinrichtungen" zu verstehen ist, definiert die Richtlinie nicht.
Rz. 205
Die gesetzlich geregelten Leistungen privater Beförderungsunternehmer für die Deutsche Bundespost können nicht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL befreit werden. Der EuGH hat hier offengelassen, ob die Rechtsform einer Einrichtung Auswirkung auf deren öffentlichen Charakter haben kann. Er ist allerdings der Auffassung, dass die Befreiung uneingeschränkt auch für den Fall gilt, dass ein Mitgliedstaat die Ausführung von postalischen Tätigkeiten einer Einrichtung überlässt, die nicht in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts geführt wird. Postalische Tätigkeiten blieben auch dann befreit, wenn sie von einem "konzessionierten Unternehmen" verrichtet werden. Die der Steuerbefreiung unterfallenden Postuniversaldienstleistungen können von den Mitgliedstaaten in Anlehnung an Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG definiert werden. Dienstleistungen öffentlicher Posteinrichtungen, deren Bedingungen einzelvertraglich ausgehandelt werden, unterliegen nicht der Steuerbefreiung. Diese ist jedoch auch dann zu gewähren, wenn die öffentliche Posteinrichtung nur einen Teil der Universaldienstleistungen erbringt.
Art. 2 Nr. 13 und Art. 3 RL 97/67 sind dahin auszulegen, dass Anbieter von Briefzustelldienstleistungen, die in ihrer Eigenschaft als Inhaber einer nationalen Lizenz verpflichtet sind, förmliche Zustellungen von Schriftstücken von Gerichten oder Verwaltungsbehörden nach Vorschriften des nationalen Rechts durchzuführen, als "Universaldiensteanbieter" im Sinne dieser Bestimmungen anzusehen sind, sodass solche förmlichen Zustellungen als von "öffentlichen Posteinrichtungen" erbrachte Dienstleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei sind.
Rz. 206
Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b–e, p MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten bestimmte Leistungen im Gesundheitssektor. Dazu gehören die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgef...