Rz. 723
Mit der RL (EU) 2018/2057 wurde in die MwStSystRL ein neuer Art. 199c aufgenommen. Danach ist es den Mitgliedstaaten erlaubt, bis zum 30.6.2022 ein generelles Reverse-Charge-Verfahren auf nicht grenzübergreifende Lieferungen oder Dienstleistungen (also Binnenumsätze) einzuführen, wonach die MwSt von dem Steuerpflichtigen geschuldet wird, an den Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht werden, wenn diese jeweils einen Schwellenwert von 17.500 EUR je Umsatz übersteigen. Der Rat war damit den Initiativen Österreichs und Tschechiens gefolgt, es den Mitgliedstaaten zu erlauben, zumindest probeweise ein generelles Reverse-Charge-Verfahren einzuführen, um dessen Auswirkungen in der Bekämpfung von MwSt-Betrug analysieren zu können. Beschließt ein Mitgliedstaat die Anwendung dieses Verfahrens, soll er es auf alle nicht grenzübergreifenden Umsätze anwenden, die den Schwellenwert von 17.500 EUR je Umsatz (gemeint ist wohl das Entgelt) übersteigen. Die Anwendung des Verfahrens soll nicht auf einen bestimmten Wirtschaftszweig beschränkt sein. Die Option nach Art. 199c MwStSystRL ist bis zum 30.6.2022 befristet, d. h. ein generelles Reverse-Charge-Verfahren, so es denn von einem Mitgliedstaat eingeführt werden sollte, darf nur bis zu diesem Zeitpunkt angewendet werden. Bereits dieser kurze Zeitraum stellt die Sinnhaftigkeit der vorliegenden Richtlinie infrage. Hinzu kommen außerdem hohe Hürden für die Einführung der Regelung. Ein Mitgliedstaat, der das generelle Reverse-Charge-Verfahren einführen möchte, muss bestimmte, im Einzelnen festgelegte Bedingungen erfüllen.
Mitgliedstaaten, die das generelle Reverse-Charge-Verfahren anwenden, müssen geeignete und effiziente elektronische Berichtspflichten für alle Steuerpflichtigen und insbesondere für Steuerpflichtige einrichten, die von dem Verfahren betroffene Umsätze bewirken oder beziehen, damit das reibungslose Funktionieren und die effiziente Überwachung der Anwendung des Verfahrens gewährleistet sind. Mitgliedstaaten, die das generelle Reverse-Charge-Verfahren anwenden möchten, haben dies bei der EU-Kommission mit den in Art. 199c Abs. 3 MwStSystRL aufgelisteten Angaben zu beantragen. Ist die EU-Kommission der Auffassung, dass der Antrag den Anforderungen entspricht, unterbreitet sie spätestens 3 Monate nach Eingang aller notwendigen Informationen dem Rat einen Vorschlag. Der Rat kann auf einen solchen Vorschlag der Kommission hin einstimmig den antragstellenden Mitgliedstaat ermächtigen, das generelle Reverse-Charge-Verfahren anzuwenden. Somit ist noch einmal ein Antrags- und Prüfverfahren zwischengeschaltet, bevor ein Mitgliedstaat das Verfahren überhaupt anwenden kann. Wird eine beträchtliche negative Auswirkung des Verfahrens auf den Binnenmarkt festgestellt, schlägt die EU-Kommission nach Art. 199c Abs. 4 MwStSystRL spätestens 3 Monate nach Eingang aller notwendigen Informationen vor, alle Durchführungsbeschlüsse des Rates aufzuheben, und zwar frühestens 6 Monate nach dem Inkrafttreten des ersten Durchführungsbeschlusses zur Ermächtigung eines Mitgliedstaats, das generelle Reverse-Charge-Verfahren anzuwenden. Diese Aufhebung gilt als vom Rat angenommen, es sei denn, der Rat beschließt einstimmig, den Kommissionsvorschlag abzulehnen, und zwar innerhalb von 30 Tagen, nachdem die EU-Kommission ihn angenommen hat. All diese Bedingungen lassen zweifeln, ob jemals ein Mitgliedstaat in der Lage sein wird, ein generelles Reverse-Charge-Verfahren für Binnenumsätze einzuführen, was nach dem 30.6.2002 ohnehin wieder aufgegeben werden müsste. Bis zum 31.12.2021 hatte kein Mitgliedstaat Gebrauch von der RL (EU) 2018/2057 gemacht.