1. Welche Steuerpflichtigen sind betroffen?
- Selbstanzeigen i. S. d. §§ 371, 378 Abs. 3 AO sind personenbezogen zu prüfen und zu formulieren
- Mehrere Personen sind i. d. R. betroffen bei Erbengemeinschaften, Mitunternehmer, Mitgeschäftsführern, gesetzlichen Vertretern (bspw. Eltern).
- Bei Auslandskonten: Wer war in den betroffenen Jahren der Kontoinhaber und erzielte die Einkünfte? Gibt es hierzu Bankbelege? Kontoinhaber und bloß Bevollmächtigte sind zu unterscheiden. Auch für Bevollmächtigte kann eine Selbstanzeige geboten sein (z.B. wenn sie Beihilfe geleistet haben).
- Ist der Steuerpflichtige ein Berufsträger oder Beamter (u. U. können im Einzelfall berufsrechtliche Sanktionen drohen)?
2. Welche Steuerarten sind betroffen?
- Bei ESt: Welche Einkunftsarten sind betroffen? In einem Feststellungsbescheid festzustellende Einkünfte müssen vorsorglich im Rahmen des Gebots der Vollständigkeit auch beachtet und gleichzeitig erklärt bzw. korrigiert werden (Beispiel: die Feststellungserklärung für die GbR als auch gleichzeitig die persönlichen Steuererklärungen der Gesellschafter).
- Die Auswirkungen auf die USt und die GewSt sind zu beachten. Ggf. müssen alle betroffenen Steuerarten gleichzeitig nacherklärt werden, da sonst durch die Erklärung der einen Steuerart die Entdeckung der anderen Steuerarten droht (Sperrgrund gem. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO).
3. Welche konkreten Einkünfte der o. g. Einkunftsarten wurden nicht erklärt?
- Bei Auslandskonten: Um welche Konten und welche Kapitaleinkünfte handelt es sich?
- Wenn es sich (auch) um geerbte Einkünfte handelte: Dann ist eine gleichzeitige Nacherklärung der Einkünfte des Erblassers durch den/die Erben als Gesamtrechtsnachfolger für den Erblasser geboten. Sofern dies vorsätzlich oder leichtfertig unterlassen wird, droht der Vorwurf einer Hinterziehung gem. §§ 370, 378 Abs. 1 AO. Sollten die Erben erst nachträglich positive Kenntnis von diesen Einkünften erlangen, besteht für diese ab dann die unverzügliche Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 Abs. 1 AO.
- Eine Selbstanzeige gem. §§ 371, 378 Abs. 3 AO kommt bei Vorsatz bzw. Leichtfertigkeit in Betracht. Diese Fälle sind von einer Berichtigungsanzeige und -erklärung gem. § 153 AO abzugrenzen. Vorsorglich sollte eine Berichtigungsanzeige und -erklärung gem. § 153 AO so formuliert werden, dass sie die Voraussetzungen einer Selbstanzeige erfüllt (Gebot der Vollständigkeit gem. § 371 Abs. 1 AO). In manchen Fällen kann es streitig werden, ob Vorsatz bzw. Leichtfertigkeit vorlag oder nicht.
4. Welche entlastenden Besteuerungsgrundlagen können geltend gemacht werden?
Z. B. Betriebsausgaben, Werbungskosten, Quellensteuern im Ausland, EU-Zinssteuer; welche Nachweise können beschafft werden? Wenn insofern keine eindeutigen Werte und/oder Nachweise sofort verfügbar sind, kann es sich u. U. anbieten, diese entlastenden Umstände erst nach der Selbstanzeige geltend zu machen, bevor die Änderungsbescheide ergehen. Ansonsten könnte die Vollständigkeit gefährdet werden, wenn die Nachweise später fehlen.
5. Welche konkreten Veranlagungszeiträume müssen für die Wahrung des Vollständigkeitsgebots gem. § 371 Abs. 1 AO nacherklärt werden?
Das Vollständigkeitsgebot verlangt die Nacherklärung für die strafrechtlich nicht verjährten Jahre, mindestens aber für alle Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre (Mindestfrist, § 371 Abs. 1 Satz 2 AO). Die strafrechtliche Verjährung beträgt grundsätzlich 5 Jahre. In den Fällen des § 376 Abs. 1 AO(neue Fassung) jedoch 15 Jahre (zuvor: 10 Jahre), also insbesondere bei einer Hinterziehung von mehr als 50.000 EUR (so die verschärfte Rechtsprechung seit BGH, Urteil v. 27.10.2015, 1 StR 373/15). Im Einzelfall ist zu prüfen, ob die Neuregelung des § 376 Abs. 1 AO (Verlängerung von 10 auf 15 Jahre) eingreift.
Beachten Sie: Die Einzelheiten der strafrechtlichen Verjährung müssen im Einzelfall beurteilt werden. Seit dem 1.1.2015 ist jedoch die neue Mindestfrist von 10 Kalenderjahren von besonderem Gewicht. Es ist zurzeit mangels Rechtsprechung unklar, wie diese neue Frist genau berechnet wird Insoweit könnten die letzten 10 Veranlagungszeiträume (Lösung 1) oder aber alle Taten einer Steuerart, die in den letzten 10 Jahren begangen (Lösung 2) oder beendet (Lösung 3) wurden, gemeint sein. Vorsorglich sollte mangels Rechtssicherheit die Frist retrograd ab dem 31.12. des dem der Selbstanzeige vorausgehenden Jahres und nicht ab dem Zeitpunkt der Selbstanzeige berechnet werden (also "rückwärts" 10 Jahre ab 31.12.2014 bei Selbstanzeige am 26.1.2015, nicht "rückwärts" 10 Jahre punktgenau ab 26.1.2015). Wird im Rahmen der Beratung aus Gründen der Vorsicht die Lösung 3 zugrunde gelegt und auf die Beendigung der jeweiligen Tat abgestellt, so könnte aus heutiger Sicht (2023) u. U. im Einzelfall auch z. B. eine Nichtabgabe der ESt 2011 oder 2012 in den Berichtigungsverbund der Selbstanzeige aufzunehmen sein, wenn die Tatbeendigung für ESt 2011 bzw. 2012 erst in den l...