Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche Begrenzung der Erstattung zu Unrecht nicht erbrachter Sozialleistungen
Orientierungssatz
1. Nach §§ 64,65 SGB 6 muss der Rentenversicherungsträger bei seiner Bewilligungsentscheidung alle rentenrechtlichen Zeiten miteinstellen, um rechtmäßig über die Rentenhöhe entscheiden zu können. Zumindest konkludent beinhaltet daher eine Rentenbewilligung immer auch die Nichtberücksichtigung der nicht festgestellten Rentenzeiten.
2. Der Rentenversicherungsträger ist nach § 44 Abs. 1 SGB 10 verpflichtet, einen rechtswidrigen Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
3. Die Erstattung zu Unrecht vom Rentenversicherungsträger nicht erbrachter Leistungen ist nach § 44 Abs. 4 SGB 10 auf einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme begrenzt.
4. Neben der Vorschrift des § 44 SGB 10 besteht kein Raum für eine Nachzahlung nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der Herstellungsanspruch, der die Verletzung einer Nebenpflicht des Leistungsträgers sanktioniert, kann nicht weiterreichen als der Anspruch nach § 44 Abs. 1 SGB 10 als Rechtsfolge der Verletzung der Hauptpflicht.
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid vom 7. Januar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17. Februar 2016 wird abgeändert und die Beklagte verpflichtet, ab dem 1. Juli 2014 Kindererziehungszeiten vom 1. November 1972 bis zum 31. Oktober 1974 und vom 1. Mai 1976 bis zum 30. April 1978 anzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte auch für den Zeitraum 1. Juli 1996 bis 31. Dezember 2009 eine Nachzahlung wegen der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten leisten muss.
Die am ... geborene Klägerin beantragte am 2. August 1996 durch ihren Betreuer eine Erwerbsminderungsrente. Sie leidet an einem Zustand nach Reanimation bei Myocarditis, einem schweren hirnorganischen Psychosyndrom mit Desorientiertheit, Auffassungs- und amnestischen Störungen, einer Sprechstörung, einer Schluckstörung sowie einer Rumpf-Stand Attaxie.
Auf dem Antragsvordruck gab sie an, Kindererziehungszeiten geltend zu machen, und fügte den weiteren Vordruck 6.4369 bei. Hieraus geht hervor, dass sie ihre beiden Söhne O. (geb. Oktober 1972) und M. (geb. April 1976) jeweils während der gesamten 10 Jahre erzogen hat.
Mit Bescheid vom 7. November 1996 gewährte die Beklagte der Klägerin eine befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Juli 1996 bis zum 31. März 1998. Kindererziehungszeiten berücksichtigte die Beklagte dabei nicht. Mit weiterem Bescheid vom 3. April 1998 bewilligte die Beklagte die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer.
Ab dem 1. Januar 2012 bezog die Klägerin eine Regelaltersrente. (Bescheid vom 9. November 2011). Auch hier berücksichtigte die Beklagte keine Kindererziehungszeiten, obwohl die Klägerin in ihrem Antrag vom 4. November 2011 angab, Kinder erzogen zu haben.
Der Ehemann der Klägerin erkundigte sich am 8. Dezember 2014 telefonisch bei der Beklagten, wann der Bescheid über die Mütterrente erfolge. Dabei stellte die Beklagte fest, dass im Konto der Klägerin keine Kinder gespeichert seien und übersandte ihr erneut die entsprechenden Vordrucke. Diese übermittelte die Klägerin am 17. Dezember 2014 mit den Geburtsurkunden ihrer beiden Söhne.
Mit Rentenbescheid vom 6. Januar 2015 stellte die Beklagte die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. Juli 1996 neu fest. Für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. 12. 2011 ergebe sich eine Nachzahlung in Höhe von 1.636,62 €. Es sei eine Anrechnungszeit vom 11. September 1972 bis zum 18. Dezember 1972 sowie vom 22. Februar 1976 bis zum 30. Mai 1976, eine Berücksichtigungszeit vom 23. Oktober 1972 bis zum 3. April 1986, sowie Kindererziehungszeiten vom 1. November 1972 bis zum 31. Oktober 1973 und vom 1. Mai 1976 bis zum 30. April 1977 zu berücksichtigen. Ab dem 1. Juli 2014 erhöhte die Beklagte die persönlichen Entgeltpunkte der Klägerin um zwei Entgeltpunkte. Höhere Leistungen seien dabei längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des Bescheides zu erbringen.
Ebenso stellte die Beklagte mit Rentenbescheid vom 7. Januar 2015 die Regelaltersrente ab dem 1. Januar 2012 neu fest. Für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Januar 2015 ergebe sich eine Nachzahlung in Höhe von 4.257,89 €.
Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 23. Januar 2015 Widerspruch und führte aus, es sei für beide Söhne nur ein Jahr Kindererziehungszeit angerechnet worden, ihr stünden aber seit Inkrafttreten der Mütterrente jeweils zwei Jahre zu. Zudem habe sie bereits im Jahr 1996 den Antrag auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten gestellt. Schließlich fehle eine Anrechnungszeit wegen Mutterschutz.
Mit Rentenbescheid vom 20. Juli 2015 stellte die Beklagte die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. Juli 1996 neu fest, für die Ze...