Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Erstattung von Vorverfahrenskosten. Freistellungsanspruch. Durchsetzbarkeit. Möglichkeit der Erhebung der Verjährungseinrede. Beurteilungszeitpunkt für notwendigen Kosten. Verjährungsfrist. Erforderlichkeit der Rechnungslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Anspruch auf Freistellung vom Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten nach § 63 SGB X kann nicht entgegengehalten werden, dass sich der Mandant auf die Einrede der Verjährung der Gebührenforderung berufen könne (entgegen SG Berlin vom 20.8.2014 - S 204 AS 14829/13 = JurBüro 2014, 643, SG Nordhausen vom 26.10.2015 - S 31 AS 818/14 = AGS 2016, 550 und vom 16.1.2017 - S 31 AS 2363/14).
2. Die Beschränkung des Anspruchs nach § 63 SGB X auf "notwendige" Kosten bezieht sich nur auf die Beurteilung der Maßnahmen der Rechtsverfolgung bzw Rechtsverteidigung aus der ex-ante-Perspektive.
3. Für den Anspruch nach § 63 SGB X dürfte die Verjährungsfrist § 45 Abs 1 SGB I analog gelten (obiter dictum).
Orientierungssatz
1. Anerkannt ist, dass eine zuvor erfolgte Rechnungslegung des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten für die Geltendmachung des Anspruchs nach § 63 Abs 1 S 1 SGB 10 nicht erforderlich ist, sondern dass auch vor Rechnungslegung entsprechend § 257 BGB eine Freistellung von dem Gebührenanspruch über § 63 Abs 1 S 1 SGB 10 begehrt werden kann (vgl BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 60/13 R = SozR 4-1300 § 63 Nr 22 und SG Nordhausen vom 26.10.2015 - S 31 AS 818/14 aaO).
2. Az beim LSG Erfurt: L 9 AS 762/17.
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2015 verurteilt, die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten für das Widerspruchsverfahren W 4322/09 in Höhe von 166,60 € freizustellen.
2. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte zu 3/4.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten für das Widerspruchsverfahren W 4322/09 freizustellen hat.
Die Klägerin, die sich zu diesem Zeitpunkt im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II befand, beantragte am 13.10.2009 beim Beklagten ein Darlehen für die Anschaffung einer Brille. Hierzu legte sie mehrere Kostenvoranschläge zwischen 265 € und 342,10 € vor. Die Bewilligung lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.11.2009 ab, da die Anschaffung einer Brille vom Regelbedarf umfasst sei.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 07.12.2009, der nicht inhaltlich begründet wurde. Mit Bescheid vom 06.01.2010 half der Beklagte dem Widerspruch in der Sache ab und mit Bescheid vom 12.01.2010 erklärte er sich zur Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach bereit.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 04.12.2014 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Festsetzung der für das Widerspruchsverfahren W 4322/09 entstandenen Rechtsanwaltsgebühren wie folgt:
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Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG |
180,00 € |
Pauschale Nr. 7002 VV RVG |
20,00 € |
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG |
38,00 € |
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238,00 € |
Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 05.06.2015 lehnte der Beklagte die Kostenfestsetzung für das Widerspruchsverfahren W 4322/09 ab, da der Anspruch des Prozessbevollmächtigten gegenüber der Klägerin aus dem Mandatsverhältnis verjährt sei und insoweit keine notwendigen Kosten im Sinne des § 63 SGB X vorlägen.
Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 05.07.2015 Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2015 als unbegründet zurückwies.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese am 20.08.2015 Klage erhoben.
Der Beklagte könne sich schon deswegen nicht auf eine Verjährung der Gebührenforderung im Verhältnis des Prozessbevollmächtigten zur Klägerin berufen, weil dies eine Frage des Kostenerstattungsanspruchs dem Grunde nach sei, während im Kostenfestsetzungsverfahren nur über die Höhe zu entscheiden sei. Für die Frage, ob die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, könne es nur auf den Zeitpunkt der Veranlassung und Durchführung der Maßnahme ankommen. Überdies könne sich der Beklagte allenfalls dann auf eine Verjährung der Gebührenforderung berufen, wenn dies der Kostenerstattungsberechtigte, also die Klägerin, tun wolle und auch getan habe. Ihm, dem Prozessbevollmächtigten, gegenüber habe sich die Klägerin nicht auf Verjährung berufen.
Die Klägerin hat zuletzt noch beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 05.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 166,60 € freizustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, notwendige Kosten im Sinne des § 63 SGB X lägen nicht vor, wenn sich die Klägerseite gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten dem Grunde nach auf die Einrede der Verjährung berufen kö...