Dipl.-Kfm. Michael Kappes, Dominik Klehr
Die hohe Bedeutung von Szenario-Betrachtungen wird nicht nur in Krisenzeiten für alle sichtbar, sondern generell geteilt. So maßen beispielsweise in der CFO Studie 2019 von Horváth & Partners 84 % der Teilnehmer dem umfangreichen Einsatz von Simulationsfunktionalitäten zur Bildung von Szenarien eine hohe Bedeutung zu. In der Praxis aber sind die Szenarien-Modelle der Finanzkrise 2008 in vielen Unternehmen in den Folgejahren schnell wieder verschwunden. Nur wenige Unternehmen haben Szenarien-Modelle tatsächlich in ihrer Steuerung verankert. Wenn Szenarien vorkommen, dann meist in Form finanzieller Sensitivitätsanalysen ohne konkreten Maßnahmenbezug.
Ein zentraler Grund für diesen Befund ist, dass die Modellierung von Szenarien in der Regel als separates Projekt aufgesetzt wird. Als solches ist die Szenarien-Modellierung nicht in die Regelprozesse eingebunden und häufig sehr aufwendig, da sie in separaten Tools (fast immer Microsoft Excel) und durch separate Projektteams erfolgt. Reduziert sich die wahrgenommene Unsicherheit wieder, so wird der aufwendige Parallelbetrieb eingestellt.
Ein weiterer Grund dürfte zumindest teilweise fehlendes Know-how und ein falsches Verständnis einer Szenarien-Planung sein. In der Literatur (und den Empfehlungen vieler "Strategieberatungen") wird der Fokus auf die Aufstellung strategischer, größtenteils qualitativer Szenarien gelegt. Diese Ausrichtung führt häufig zu komplexen, teilweise sehr akademischen Modellen mit hohem Aufwand und begrenztem Mehrwert. Wir empfehlen demgegenüber ein pragmatisches Verständnis einer Szenarien-Planung, die sowohl Kurz- als auch Mittelfrist abdeckt und ihren Schwerpunkt in quantitativen Betrachtungen hat.
2.1 Leistungsstarkes treiberbasiertes Simulationsmodell als Kernvoraussetzung
Kernvoraussetzung für die Modellierung von Szenarien ist ein Simulationsmodell, das
- einerseits einfach zu bedienen ist, andererseits auch komplexe Sachverhalte abbilden kann;
- bei Veränderung von Eingangsgrößen direkt die Auswirkungen auf die zentralen Steuerungsgrößen aufzeigt;
- in sich konsistent ist und fachlich korrekte Ergebnisse liefert und
- flexibel anzupassen und zu erweitern ist.
Abb. 2: Aufbau des Modells – Grundlogik und zentrale Komponenten
Für den Aufbau von Simulationsmodellen bildet ein "Base case" bzw. Basis-Szenario den Ausgangspunkt. Dieses kann sowohl eine existierende Planung sein als auch ein Forecast bzw. eine Fortschreibung der aktuellen Situation. Für die effiziente Generierung eines entsprechenden Forecasts können Fortschreibungslogiken auf Basis von Predictive Analytics (für die Kurzfrist-Perspektive) und makroökonomischen Parametern (für die Langfrist-Perspektive) Verwendung finden. Das hat den Vorteil, dass man als Unternehmen unabhängig von einer aufwendigen und ggf. nicht mehr passenden Planung ist.
Dieses Basis-Szenario wird anschließend erweitert, sodass alternative Szenarien entstehen. Ein solches veränderungsbasiertes Vorgehen sichert Effizienz und vermeidet eine aufwendige Neuplanung. Kernelement einer solchen Modellierung ist ein Treibermodell, das verschiedene operative Parameter (z. B. Veränderungen von Mengen und Produktivitäten) integriert und in finanzielle Größen übersetzt. Die Treiber repräsentieren wichtige, geschäftsmodellabhängige Hebel für die Modellierung. Ergänzend kommen Restriktionen wie bspw. Kapazitäten und Verfügbarkeiten hinzu. Die Treiber müssen grundsätzlich so integriert sein, dass eine Treiberveränderung sich auf alle relevanten Größen auswirkt: eine Veränderung der Absatzmenge muss sich sowohl auf die Umsatzerlöse als auch auf die variablen Kosten auswirken. Hierbei sollte allerdings auch auf Pragmatismus geachtet werden.
2.2 Maßnahmenpakete beeinflussen die Treiber-Größen für die Simulation
Neben den Treibern bilden Maßnahmen die zentralen Eingangsgrößen für die Simulation. Dies können bspw. größere Projekte oder organisatorische Veränderungen sein. Je Maßnahme muss die finanzielle Wirkung für den relevanten Horizont in Form eines "Business Case" vorliegen. Die Modellierung erfolgt dann durch Ein- oder Abschalten der Effekte ("on-off") einzelner Maßnahmen.
Viele Unternehmen nutzen für ihre Simulationen im Krisenmodus reine Finanzmodelle, wobei jede Veränderung durch einzelne Effekte abgebildet wird. So wird bspw. ein "Hochlauf China" durch zugehörige Umsatzeffekte, Kosteneffekte und Liquiditätseffekte simuliert. Eine solche Modellierung ist relativ einfach umzusetzen, schränkt jedoch die Flexibilität ein (für verschiedenen Hochlauf-Varianten werden jeweils unterschiedliche Effekte benötigt) und es drohen leicht Inkonsistenzen. Zudem lassen sich die Auswirkungen verschiedener Szenarien nicht immer einfach aufsummieren. Eine Modellierung mithilfe von Treibern und Maßnahmen erweist sich hier als der bessere Ansatz.
Abb. 3: Gegenüberstellung Modellierung mit Finanzeffekten und Treiber-basierte Modellierung am Beispiel "Wiederanlauf China"
2.3 Forecast muss Effekte von Vertrieb, Operations und Finanzen integrieren
Als Minimum für eine geschäftsorientierte Modellierung von Szenarien ist die Integration der Zusammenhänge der Sales-&-Operations-Planung bzw. Supply Chain mit der finanziellen Steuerung zu sehen. Im Idealfall kann hier auf einem integ...