Leitsatz
Art. 40 EWR-Abkommens steht nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegen, wonach Gesellschaften mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats der EU von der streitigen Steuer befreit sind, während diese Befreiung für eine Gesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines zum Europäischen Wirtschaftsraum gehörenden Drittstaats vom Bestehen eines zwischen dem genannten Mitgliedstaat und diesem Drittstaat zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht geschlossenen Amtshilfeabkommens oder davon abhängig ist, dass diese juristischen Personen aufgrund eines Staatsvertrags, der eine Bestimmung über ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, keiner höheren Besteuerung unterworfen werden dürfen als im Gebiet eines Mitgliedstaats ansässige Gesellschaften.
Normenkette
Art. 40 EWR-Abkommen
Sachverhalt
Das, was zum Verständnis des Falls an Sachverhalt …
Entscheidung
… wie an Entscheidungsgründen des EuGH erforderlich ist, ergibt sich bereits alles aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
1. Es handelt sich um eine Entscheidung des EuGH zum französischen Steuerrecht auf Vorabentscheidungsersuchen des Cour de cassation (Frankreich), eingereicht am 18.02.2009. Dieses sieht "zur Bekämpfung bestimmter Formen der Steuerflucht" vor, dass ausländische Körperschaften, die in Frankreich Immobilien besitzen, hiervon eine jährliche Steuer von 3 % des Verkehrswerts dieser Immobilen zu entrichten haben. Davon befreit sind alle Körperschaften mit Sitz in EU-Mitgliedstaaten sowie in solchen Staaten, mit denen ein Amtshilfeabkommen besteht. Die Einschränkung gilt also auch für EWR-Staaten: Norwegen, Island und Liechtenstein.
2. Der EuGH hat wissen lassen, dass durch die Amtshilfevorbehaltsklausel zwar die EG/AEUV- (und damit gleichermaßen die entsprechende EWR-Abkommens-) Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG, Art. 63 AEUV, Art. 40 EWRA) beschränkt wird, diese Verletzung indessen gerechtfertigt ist: "Rechtsvorschriften, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, sind gegenüber dem Vertragsstaat des EWR-Abkommens als aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die sich auf die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und die Notwendigkeit der Wahrung der Wirksamkeit von Steuerprüfungen beziehen, gerechtfertigt und als geeignet anzusehen, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was hierzu erforderlich ist."
Im konkreten Fall betraf das das Fürstentum Liechtenstein, das insoweit – in Ermangelung einer Bereitschaft zur zwischenstaatlichen Auskunft und Amtshilfe – trotz EWR-Zugehörigkeit wie ein "normaler"Drittstaat zu behandeln ist.
3. Für das deutsche Steuerrecht folgt daraus: Einschlägige Gesetzesvorbehalte sind europarechtlich hinzunehmen.
Das betrifft derzeit z.B. § 2a Abs. 2a EStG für den Verlustabzug, § 10b Abs. 1 S. 3 und 4 EStG für den Spendenabzug, § 6 Abs. 5 S.z 2 AStG für die sog. Wegzugsteuer, die Missbrauchs-Escape-Klausel des § 8 Abs. 2 S. 2 AStG bei der Hinzurechnungsbesteuerung, § 146 Abs. 2a AO zur Aufbewahrung von elektronischen Büchern und sonstiger elektronischer Aufzeichnungen im Ausland und alsbald wohl auch die Ratenzahlungsregelung des § 36 Abs. 5 EStG i.d.F. des JStG 2010 in Fällen der sog. finalen Betriebsaufgabe gem. den ebenfalls neugeschaffenen Regelung des § 16 Abs. 3a EStG. In allen diesen Fällen sind vergleichbare Klauseln zulasten nicht amtshilfewilliger EWR-Staaten enthalten.
Auch sie treffen – oder besser: trafen – regelmäßig vor allem das Fürstentum Liechtenstein. Für die Gegenwart und Zukunft mag das anders sein, nachdem man sich mit der Bundesrepublik im September 2009 auf das "TIEA" = "Tax Information Exchange Agreement" zum Austausch von steuerlich relevanten Informationen zwischen den Behörden ab 01.01.2010 verständigt hat.
4. Zu ergänzen ist: Es spricht viel dafür, dass Nämliches gilt, wenn es im Gesetzestext an einer prinzipiellen Inländer-Begünstigung auch von Steuerpflichtigen aus EU- und EWR-Staaten (noch) gänzlich fehlt. In solchen Fällen muss eine entsprechende Ausweitung "normgeltungserhaltend" in den Gesetzestext "hineingelesen" werden. Das wirkt zunächst begünstigend, ist indes auf das Nötigste zu beschränken, was bedeutet, dass der Amtshilfevorbehalt ebenfalls einzubeziehen ist. Betroffen sein kann davon z.B. § 15 AStG, worüber der BFH in der Revision I R 84/09 (gegen Hessisches FG, Urteil vom 18.08.2009, 2 K 952/09, ZEV 2010, 535) zu entscheiden haben wird.
(Und methodisch könnten die Dinge ähnlich liegen, wenn man den organschaftlichen Ergebnisabführungsvertrag nach §§ 14 ff. KStG für europarechtswidrig hält, dann aber an seiner Stelle und ebenfalls "geltungserhaltend" einen "abgesteckten" Verlustübernahmevertrag verlangt; s. dazu Niedersächsisches FG, Urteil vom 11.02.2010, 6 K 406/08, Haufe-Index 2316373, EFG 2010, 815 [Rev. aus anderen Gründen als unbegründet zurückgewiesen, BFH, Beschluss vom 09.11.2010, I R 16/10, im nächsten Heft] sowie FG Rheinland-Pfalz, Urteil...