Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 21
Nach Abs. 3 Satz 2 können die Prüfmaßnahmen der Prüfungsstelle grundsätzlich in beide Richtungen gehen, also sowohl eine Nachforderung zugunsten des geprüften Leistungserbringers als auch eine Nachforderung bzw. Kürzung zu dessen Lasten auslösen. Im operativen Bereich sollen gezielte Beratungen des vertragsärztlichen Leistungserbringers durch die Prüfungsstelle weiteren Maßnahmen (z. B. finanziellen Kürzungen) in der Regel vorangehen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es wichtiger erscheint, den vertragsärztlichen Leistungserbringer von der Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungs- und/oder Verordnungsweise für die Zukunft zu überzeugen (präventives Vorgehen), als ihn für eine nachgewiesene Unwirtschaftlichkeit mit einer finanziellen Kürzung für die Vergangenheit zu belegen. Allerdings findet der Vorrang der Beratung dann seine Grenzen (vgl. "in der Regel" in Abs. 3 Satz 3), wenn das Ausmaß der Unwirtschaftlichkeit oder der Umfang der mangelhaften Leistungsqualität erheblich sind oder der vertragsärztliche Leistungserbringer sich gegenüber einer vorherigen individuellen oder allgemeinen Beratung/Belehrung uneinsichtig zeigt bzw. trotz voraufgegangener Beratung/Belehrung erneut gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, welches Gegenstand seiner Beratung/Belehrung war, verstoßen sollte.
Eine wiederkehrende Beratungspflicht vor einem Regress ist nicht erforderlich. Auf eine Beratung als formelles Kriterium für einen Regress kann verzichtet werden, wenn dem Arzt mit der mehrfachen Überschreitung des Vergleichsgruppendurchschnitts ein Mehraufwand im Ausmaß eines offensichtlichen Missverhältnisses anzulasten ist (LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 21.11.2023, L 4 KA 5/22). Begründen lässt sich diese Auffassung damit, dass jeder Arzt zugleich mit Beginn seiner Tätigkeit auf die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes hingewiesen wird. Hat ein Arzt in der Vergangenheit mehrfach die Grenzen der Wirtschaftlichkeit überschritten, muss im Wiederholungsfall keine weitere oder erneute Beratung erfolgen.
Rz. 22
Die Verantwortung für die gezielte Beratung und Information der vertragsärztlichen Leistungserbringer sowie die Schaffung der dafür erforderlichen organisatorischen und logistischen Voraussetzungen (qualifiziertes Personal, Datengrundlagen u. a.) liegt nach Abs. 3 Satz 4 bei der Prüfungsstelle. Sie ist verpflichtet, die vertragsärztlichen Leistungserbringer auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung zu beraten. Mit der Zuweisung der Beratungsaufgabe an die regionale Prüfungsstelle war schon vor dem 1.1.2017 ein weiterer Anlauf zur Steigerung und Akzeptanz der Wirtschaftlichkeit unternommen worden, indem die gezielte Arztinformation und -beratung und die arztbezogene Prüfung der Verordnungsweise an einer Stelle konzentriert worden sind. Die Prüfungsstelle (vgl. § 106c) nimmt, losgelöst von der KV- und Krankenkassenseite, vollzeitig ihre Aufgaben mit eigener Entscheidungsbefugnis durch das Setzen von Verwaltungsakten wahr. Dies soll die Erfolgsaussichten i. S. der angestrebten wirtschaftlichen Behandlungs- und Verordnungsweise erhöhen, der Mengenproblematik oder einer mangelhaften Qualität entgegenwirken sowie z. B. im Arzneimittelbereich ein Gegengewicht zu den teilweise aggressiven Marktstrategien der Pharmareferenten der pharmazeutischen Unternehmen darstellen, welche die vertragsärztlichen Leistungserbringer massiv i. S. einer ständig ausufernden Verordnungsweise mit Leistungen nach § 31 zu beeinflussen versuchen. Die Beratung und Information des vertragsärztlichen Leistungserbringers erstrecken sich auch auf die Qualität der Leistungserbringung. Dies korrespondiert im Übrigen mit § 70 Abs. 1, der als allgemeiner Grundsatz bestimmt, dass die vertrags(zahn-)ärztliche Versorgung sowohl wirtschaftlich als auch in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden muss.
Rz. 23
Die mit Wirkung zum 1.1.2017 geltenden Regelungen in Abs. 3 Satz 1, 3 und 4 wurden auszugsweise den bis 31.12.2016 gültigen Abs. 4a, 5 und 1a entnommen, sind also für die Praxis der Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch die regionalen Prüfungsstellen nicht neu. Die ergänzende Regelung in Abs. 3 Satz 2 soll dagegen nach der Gesetzesbegründung klarstellen, dass die regionalen Prüfvereinbarungen im Rahmen der Maßnahmen auch entsprechende Konsequenzen, wie eine Nachforderung oder eine Kürzung, nach sich ziehen können.
Rz. 24
Der mit Wirkung zum 11.5.2019 nach Abs. 3 Satz 2 eingefügte Satz 3 hat die bisherigen Sätze 3 und 4 in Abs. 3 Satz 4 und 5 umgewandelt. Die Einfügung nimmt darauf Bezug, dass der vertragsärztliche Leistungserbringer auf den Bestand eines vor einer endgültigen Prüfung auf Wirtschaftlichkeit oder Rechtmäßigkeit erteilten Honorarbescheides nicht vertrauen kann. Die KV erlässt nämlich in Auskehrung der Gesamtvergütungsanteile quartalsmäßig (vorläufige) Honorarb...