0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG) v. 22.12.2010 (BGBl. I S. 2262) mit Wirkung zum 1.1.2011 eingefügt worden. Aufgrund des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG) v. 16.7.2015 (BGBl. I S. 1211) sind mit Wirkung zum 1.1.2017 der Abs. 4 geändert sowie der bisherige Abs. 4 Satz 2 gestrichen worden (vgl. Art. 2 Nr. 13 i. V. m. Art. 7 Abs. 6 GKV-VSG).
Mit Wirkung zum 13.5.2017 sind durch das Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG) v. 4.5.2017 (BGBl. I S. 1050) in Abs. 1 Satz 3 die Wörter "abgelöst werden" durch die Wörter "ganz oder teilweise abgelöst werden; dabei können auch zusätzliche Rabatte auf den Erstattungsbetrag vereinbart werden" ersetzt worden. Nach Abs. 3 ist der Satz "§ 78 Abs. 3a des Arzneimittelgesetzes bleibt unberührt" eingefügt und in Abs. 5 Satz 1 sind die Wörter "Absatz 8 Satz 7" durch die Wörter "Absatz 9 Satz 1" ersetzt worden.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift stellt eine dezentral gestaltete Ergänzung zu den zentralen Vereinbarungen auf Bundesebene mit pharmazeutischen Unternehmern über Erstattungsbeträge für neue, nicht festbetragsfähige Arzneimittel nach § 130b dar. Danach bleibt es jeder gesetzlichen Krankenkasse überlassen, abweichend oder ergänzend von bzw. zu den Bundesvereinbarungen nach § 130b die Versorgung ihrer Versicherten mit innovativen Arzneimitteln durch eigene Vereinbarungen mit einem pharmazeutischen Unternehmer zu regeln. Ziel ist, zwischen den Krankenkassen und auch unter den pharmazeutischen Unternehmern einen Wettbewerb um bessere Patientenversorgung, höhere Qualität und geringere Kosten entstehen zu lassen. In der Rangfolge sind diese kassenbezogenen Verträge aber nachrangig gegenüber den Vereinbarungen auf der Bundesebene, so dass zuerst der zwingend vorgeschriebene Abschluss der Vereinbarung auf Bundesebene erfolgt und erst danach ggf. die ergänzenden oder von den Bundesvereinbarungen abweichenden Vereinbarungen auf der Krankenkassenebene oder auf der Ebene eines Landesverbandes der Krankenkassen mit pharmazeutischen Unternehmern auf freiwilliger Basis geschlossen werden können.
Die mit Wirkung zum 1.1.2017 erfolgte Änderung des Abs. 4 ist redaktioneller Art und eine Folge der zum selben Zeitpunkt erfolgten Umstrukturierung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen (vgl. §§106 bis 106c). Die Streichung des Abs. 4 Satz 2 beruht darauf, dass der bis 31.12.2016 geltende § 106 Abs. 5a Satz 12 als Bezugspunkt weggefallen ist.
Mit Wirkung zum 13.5.2017 ist durch die Änderung des Abs. 1 Satz 3 das Verhältnis der Verträge einzelner Krankenkassen mit pharmazeutischen Unternehmern zu den Vereinbarungen des GKV-Spitzenverbandes mit pharmazeutischen Unternehmern klargestellt worden nach dem Prinzip "zentrale Preisregelung vor dezentraler Preisvereinbarung". Der Hinweis im eingefügten Abs. 1 Satz 4 der Vorschrift, dass § 78 Abs. 3a Arzneimittelgesetz (AMG) unberührt bleibt, unterstreicht die grundsätzliche Vorrangstellung des nach § 130b vereinbarten Erstattungsbetrages bei der Abgabe des Arzneimittels durch den pharmazeutischen Unternehmer. Der geänderte Verweis in Abs. 5 Satz 1 auf § 73 Abs. 9 Satz 1 ist der Neufassung des § 73 Abs. 9 angepasst.
2 Rechtspraxis
2.1 Selektivvereinbarung auf freiwilliger Basis
Rz. 3
Mit der Vorschrift wurde eine dezentrale Vertragsoption geschaffen, durch die die Vereinbarungen über Erstattungsbeträge nach § 130b oder entsprechende Schiedsstellenentscheidungen ergänzt bzw. ganz oder teilweise abgelöst werden können. Solche dezentralen Einzelverträge können z. B. als Mehrwert- oder qualitätsoptimierende Risk-Share-Verträge (Therapieerfolg als Rabattkriterium in Regionalverträgen) ausgestaltet werden. Die vertraglichen Gestaltungsspielräume für diese Einzelverträge unterscheiden sich allerdings kaum von denen bei Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8, der für Selektivverträge entsprechend gilt. Mehrwertverträge bei Rabattvereinbarungen im patentgeschützten Markt für Arzneimittel können insbesondere auf medizinische und gesundheitsökonomische Outcomes abzielen; dazu könnten z. B. nach Meinung des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa), der mit zu den für die Interessen der pharmazeutischen Unternehmer gebildeten Spitzenorganisationen zählt und Selektivverträge grundsätzlich befürwortet, ergänzende Regelungen zur Durchführung von Versorgungsforschung, zu Capitation-Elementen oder zum Cost- sowie Risk-Sharing gehören.
Der Abschluss einer Vereinbarung nach Abs. 1 ist freiwillig. Durch das Wort "können" in Satz 1 wird deutlich, dass weder die Krankenkassenseite noch der pharmazeutische Unternehmer zum Abschluss gezwungen sind. Die Freiwilligkeit wird auch dadurch bestätigt, dass kein Schiedsverfahren eingerichtet ist, falls sich die Vereinbarungspartner nicht einig werden. Freiwilligkeit beim Vertragsabschluss bedeutet im Übrigen , dass nach § 69 Abs...