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Mit der Vorschrift ist eine Empfehlung des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitwesen (jetzt: Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen- § 142) aus dem Jahr 2002 im Hinblick auf die Kompetenzbündelung der Hämophilieversorgung in sog. Comprehensive Care Centers (CCCs) aufgegriffen worden. Es handelte sich um die Ergänzung zum Gutachten 2000/2001 (Bände I bis III) des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (BT-Drs. 14/8205).
Danach hatte der Sachverständigenrat eine partielle Erweiterung des Dispensierrechts in solchen Fällen und Konstellationen empfohlen, in denen eine partielle bzw. maßvolle Erweiterung des Dispensierrechts aus medizinischen und/oder ökonomischen Gründen angezeigt erscheint.
Spezialambulanzen, wie z. B. Hämophiliezentren, haben für die Krankenversorgung in Deutschland eine hohe Bedeutung und werden von Patienten aus unterschiedlichen Gründen aufgesucht:
- Der Umgang mit Krankheit und Patienten erfordert ein Spezialwissen, das bei niedergelassenen Ärzten nicht verfügbar ist.
- Die Versorgung macht den Einsatz aufwändiger Geräte erforderlich (Diagnostik und Therapie).
- Die Versorgung kann nur multidisziplinär, d. h. durch das Zusammenwirken mehrerer Spezialisten erfolgen.
- Die Schwere der Krankheit gebietet den Einsatz von Innovationen, die noch im Prüfstadium im Rahmen von kontrollierten Studien sind.
Für jeden der hier aufgeführten Gründe für das Aufsuchen einer Spezialambulanz gilt, dass Medikamente erforderlich werden können, für die es vorteilhaft wäre, wenn die Spezialambulanz die Dispensierung übernehmen würde. Der Sachverständigenrat hielt es für erforderlich, dass Vorschläge für die Auswahl solcher Medikamente von Vertretungen der Spezialambulanzen oder auch wissenschaftlichen Gesellschaften eingeholt werden mit dem Ziel, diese mit den Beteiligten zu diskutieren und möglichst im Konsens mit Vertretungen der Apotheker eine entsprechende Liste zu etablieren. Neben Blutgerinnungsfaktoren (vgl. Anhang) dachte der Sachverständigenrat an Reproduktionsmedizin, onkologische Therapie, Hormonersatz, Zytokine und monoklonale Antikörper usw. Selbstverständlich würde es dabei nicht darum gehen, die Apotheken überflüssig zu machen, sondern um Medikamente
- bei denen der Patient einen nachweisbaren Nutzen von einer Dispensierung durch die Spezialambulanz hat,
- bei denen die sachgerechte Herstellung und/oder Bereitstellung nicht von jeder öffentlichen Apotheke geleistet werden können (Zytostatikazubereitungen), Hämophiliepräparate (vgl. Anhang), bestimmte Infusionslösungen für die Dialyse, bestimmte antibiotika- oder virustatikahaltige Infusionen oder
- für Patienten, die in Bezug auf die fragliche Indikation dauerhaft in der Ambulanz versorgt werden (z. B. in der Onkologie, bei Hämophiliebehandlung oder bei Immunsupression).
Im Anhang zur Gutachtenergänzung hatte der Sachverständigenrat die Kompetenzbildung am Beispiel der Hämophiliebehandlung ausführlich dargestellt und zur bedarfsgerechten Versorgung der Hämophiliepatienten sich dafür ausgesprochen, die Weiterentwicklung von Hämophiliezentren zu sog. Comprehensive Care Centers (CCCs) zu unterstützen. Ziel sei es, frühzeitig Gelenksveränderungen zu erkennen, die Therapie darauf abzustimmen und zusätzlich zur Behandlung der Hämophilie die qualitätsgesicherte Behandlung von durch Faktorenkonzentrate hervorgerufenen Infektionen wie HIV, Hepatitis B und C zu gewährleisten. Zur Gewährleistung und Sicherstellung der Kompetenz ist für ein Hämophiliezentrum, das die Bezeichnung CCC führen möchte, die Behandlung von mindestens 50 Patienten mit schwerer Hämophilie nach Ansicht des Sachverständigenrates Grundvoraussetzung. Damit die Erreichbarkeit eines Zentrums für alle Hämophilen in einem angemessenen Zeitraum möglich ist, sollte es 13 (plus X) Zentren in Deutschland geben. Der Bedarf an Behandlungseinrichtungen sollte künftig durch epidemiologische Daten und Versorgungsstudien festgestellt werden. Das bereits etablierte Hämophilieregister bietet nach Ansicht des Sachverständigenrates hierfür eine optimale Ausgangsbasis zur Dokumentation aller relevanten Daten.
Mit der Vorschrift sind aber wesentliche Aspekte des Sachverständigenrates zur Hämophilieversorgung nicht übernommen worden (z. B. Abgabe der Arzneimittel über das Hämophiliezentrum und nicht über Apotheken, Regelungen zur bedarfsgerechten Versorgung, Mindestzahl der Patienten mit schwerer Hämophilie). Die Vorschrift steht vielmehr im Zusammenhang mit dem ebenfalls eingeführten § 130d (Preise für Arzneimittel zur Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie), durch den nur gentechnologisch hergestellte Blutbestandteile aus dem arzneimittelrechtlichen Direktvertrieb herausgenommen wurden. Die in den Hämophiliezentren verwendeten Arzneimittel gehören nicht dazu; für ihre Abgabe gelten daher die allgemeinen arzneimittelrechtlichen und apothekenrechtlichen Regelungen und sie werden über Apotheken abgegeben.