2.1 Anspruch auf ärztliche Beratung, Untersuchung und Verordnung (Abs. 1 und 4)
Rz. 3
Versicherte mit substantiellem HIV-Infektionsrisiko, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, erhalten einen Anspruch auf ärztliche Beratung zur Verhütung einer Ansteckung mit HIV (Abs. 1 Nr. 1), erforderliche Untersuchungen (Abs. 1 Nr. 2) und Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur oralen Präexpositionsprophylaxe (Abs. 4). Die Aufklärung im Rahmen eines ärztlichen Beratungsgesprächs unter besonderer Berücksichtigung von Safer-Sex-Praktiken ist ein elementarer Bestandteil der gesetzlichen Konzeption, da ein erhöhtes HIV-Infektionsrisiko nach derzeitigen Erkenntnisstand, auch entsprechend den deutsch-österreichischen Leitlinien der Deutschen AIDS-Gesellschaft, vor allem verhaltensbezogen ist. Zur Überprüfung der Wirksamkeit der PrEP und zur Kontrolle möglicher Nebenwirkungen sind regelmäßige Begleituntersuchungen erforderlich. Abs. 4 verbindet den Anspruch auf Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur Präexpositionsprophylaxe mit der Beratung. Ohne eine entsprechende vorherige ärztliche Beratung kommt ein Anspruch auf Versorgung somit nicht in Betracht. Mit der Abgabe der verschreibungspflichtigen Arzneimittel in Apotheken zur PrEP haben die Versicherten eine Zuzahlung nach den sonst geltenden Regelungen zu leisten.
2.2 Anspruchsberechtigung und Vereinbarung (Abs. 2)
Rz. 4
Die Einzelheiten zum Kreis der Anspruchsberechtigten und zu den Voraussetzungen für die Ausführung der Leistungen hat der Gesetzgeber gemäß Abs. 2 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Rahmen einer Vereinbarung als Bestandteil der Bundesmantelverträge übertragen. Schon während des Gesetzgebungsverfahrens hat der Gemeinsame Bundesausschuss in einer Stellungnahme v. 10.2.2019 (https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4757/2019-01-14-PA-AfG-SN-TSVG-G-BA_.pdf) mit Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 10.11.2015 (1 BvR 2056/12, Rz. 22) Bedenken an dieser Regelung geäußert. Das Vorgehen des Gesetzgebers ist in der Tat verfassungsrechtlich in hohem Maße bedenklich. Der Gesetzgeber selbst hat lediglich das (Mindest-)Alter der berechtigten Versicherten festgelegt, demgegenüber aber weder definiert, wann von einem substantiellen HIV-Infektionsrisiko auszugehen ist und welche Voraussetzungen überhaupt für die Ausführung der Leistungen erfüllt sein müssen. Damit fehlen die wesentlichen Tatbestandsmerkmale für einen Anspruch. Eine Legitimation der Vertragspartner des Bundesmantelvertrages dürfte zu verneinen sein, da die Vereinbarung mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regeln wird, die an deren Entstehung nicht mitwirken konnten (ebenso im Ergebnis Gokel, in: Orlowski/Remmert, GKV-Kommentar SGB V, § 20j Rz. 3).
Rz. 5
Ebenso berechtigt ist die vom Gemeinsamen Bundesausschuss aufgeworfene Frage, warum in anderen Konstellationen zu Verhütung einer Erkrankung eine medikamentöse Prophylaxe sinnvollerweise zum Einsatz kommen aber nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden kann. Aus der jetzt verabschiedeten gesetzlichen Regelung dürften sich Folgewirkungen für ebenfalls primär prophylaktische medikamentöse Strategien in weiteren Krankheitsbereichen ergeben (vgl. https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4610/2018-08-15-PA-BMG-SN-Referentenentwurf-Terminservice-und-Versorgungsgesetz-TSVG.pdf).
Rz. 6
Entsprechend dem gesetzgeberischen Auftrag (Abs. 3) haben die Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband als Anlage 33 zum Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) am 24.7.2019 mit Wirkung zum 1.9.2019 die Vereinbarung über die HIV-Präexpositionsprophylaxe zur Prävention einer HIV-Infektion gemäß § 20j SGB V geschlossen (https://www.kbv.de/media/sp/Anlage_33_HIV_Praeexpositionsprophylaxe.pdf).
Nach deren § 2 zählen zu Versicherten mit einem substantiellen HIV-Infektionsrisiko die folgenden Personen:
- Männer, die Geschlechtsverkehr mit Männern haben (MSM) oder Transgender-Personen mit der Angabe von analem Geschlechtsverkehr ohne Kondom innerhalb der letzten 3 bis 6 Monate und/oder voraussichtlich in den nächsten Monaten bzw. einer stattgehabten sexuell übertragbaren Infektion (STI) in den letzten 12 Monaten,
- serodiskordante Konstellationen mit einer/einem virämischen HIV-positiven Partner/in ohne antiretrovirale Therapie (ART), einer nicht suppressiven ART oder in der Anfangsphase einer ART (HIV-RNA, die nicht schon 6 Monate unter 200 RNA-Kopien/ml liegt),
- nach individueller und situativer Risikoüberprüfung drogeninjizierende Personen ohne Gebrauch steriler Injektionsmaterialien,
- nach individueller und situativer Risikoüberprüfung Personen mit Geschlechtsverkehr ohne Kondom mit einer/einem Partner/in, bei der/dem eine undiagnostizierte HIV-Infektion wahrscheinlich ist (z. B. einem/einer Partner/in aus Hochprävalenzländern oder mit risikoreichen Sexualpraktiken).
Rz. 7
§ 4 der Vereinbarung beschreibt die Anforderungen an die fachliche Befähigung der teilnehmenden Ärzte zur Durchführung und Abrechnung der Präexpositionsprophylaxe wie folgt:
- Die Genehmigung der zuständigen Kas...