2.1 Aufforderung zum Antrag auf Rehabilitations- bzw. Teilhabeleistungen (Abs. 1 Satz 1)
2.1.1 Überblick
Rz. 7
Zur Vermeidung einer Überforderung der Versichertengemeinschaft kann die Krankenkasse den Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen auffordern, innerhalb einer Frist von 10 Wochen einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bzw. auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen. Bei nicht rechtzeitiger Antragstellung wird der Anspruch auf das Krankengeld beendet. Er lebt erst ab dem Tag wieder auf, wenn der Antrag gestellt wird (§ 51 Abs. 3 Satz 1 und 2).
Rz. 8
Aufgrund des Urteils des BSG v. 16.12.2014 (B 1 KR 31/13 R) lassen sich zur Einordnung des § 51 folgende Grundsätze aufstellen:
- Die in § 51 Abs. 1 Satz 1 formulierte Möglichkeit für die Krankenkassen, Versicherte zur Stellung eines Antrages auf Rehabilitations- bzw. Teilhabeleistungen aufzufordern, dient in erster Linie dazu, beim Versicherten die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beseitigen. Dies ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, wonach die Leistungen zur Teilhabe Vorrang haben vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, § 9 Abs. 1 und 2 SGB IX (bis 31.12.2017: § 8 Abs. 1 und 2 SGB IX).
- Inhaltlich normiert der Gesetzgeber dadurch eine gesetzliche Risikozuordnung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung i. S. eines Vor- und Nachrangs konkurrierender Leistungen. Auch ist es in erster Linie Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung, bei dauerhafter Erwerbsminderung mit Leistungen einzutreten; Krankengeld hat nicht die Funktion, dauerhafte Leistungsdefizite oder eine Erwerbsminderung finanziell abzusichern.
- Die Vorschrift räumt einer Krankenkasse die Möglichkeit ein, einen Wegfall ihrer Leistungszuständigkeit für die Krankengeldauszahlung schon vor Erreichen der Anspruchshöchstdauer (§ 48) zu bewirken, was regelmäßig aufseiten der Versicherten zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen führt.
Die Krankenkasse entscheidet nach eigenem Ermessen, ob und wann sie ihren arbeitsunfähigen Versicherten auffordert, einen Antrag i. S. d. § 51 zu stellen. § 51 ist eine sog. "Kann-Vorschrift", d. h., dass die Krankenkasse ihren Versicherten zum entsprechenden Antrag auffordern kann, es jedoch nicht muss. Die Krankenkasse hat die Entscheidung rechtsfehlerfrei nach der jeweiligen Sachlage zu treffen.
Rz. 9
Zu erwähnen ist, dass der Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bzw. auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 116 Abs. 2 SGB V automatisch als Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung gilt, wenn
- die durchgeführten Leistungen die Erwerbsfähigkeit nicht wieder herstellen konnten oder
- die entsprechenden Leistungen wegen fehlender Erfolgsaussicht von vorneherein nicht eingeleitet wurden.
Der Versicherte kann dann den umgewandelten Antrag (= Rentenantrag) nur noch mit Zustimmung der Krankenkasse zurücknehmen oder verändern.
2.1.2 Voraussetzung: Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten gemindert oder erheblich gefährdet
Rz. 10
Gemäß § 51 Abs. 1 kann die Krankenkasse den Versicherten zur Stellung eines Rehabilitations- oder Teilhabeleistungsantrags nur auffordern, wenn dessen Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten
- gemindert (Rz. 11) oder
- zumindest erheblich gefährdet (Rz. 12) ist.
Der Begriff der Erwerbsfähigkeit wird im Gesetz nicht definiert. In Rechtsprechung, Literatur und Praxis versteht man unter Erwerbsfähigkeit übereinstimmend die "Fähigkeit des Menschen, unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Erkenntnissen und körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, Erwerbseinkommen zu erzielen" (vgl. BSG, Urteil v. 19.7.1963, 1 RA 6/60). Dabei wird auf den allgemeinen Arbeitsmarkt abgestellt.
Rz. 11
Zu a)
Der Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach Ziff. 2.5. der Auslegungsgrundsätze der Rentenversicherungsträger zu den persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Leistungen zur Teilhabe der Versicherten i. d. F. v. 18.7.2002 (Text: vgl. Komm. zu § 9 SGB VI) liegt eine "Minderung der Erwerbsfähigkeit" nur dann vor, wenn, eine infolge gesundheitlicher Beeinträchtigungen erhebliche und länger andauernde Einschränkung der Leistungsfähigkeit (länger als 6 Monate) besteht, wodurch der Versicherte seine bisherige oder zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit nicht mehr oder nicht mehr ohne wesentliche Einschränkungen ausüben kann.
Nicht jede kurzfristige Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge akuter Erkrankung löst einen Anspruch auf Rehabilitations- bzw. Teilhabeleistungen aus. Der Rehabilitationsträger wird grundsätzlich erst dann Teilhabeleistungen zu seinen Lasten bewilligen, wenn die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen aufgrund medizinischer Erkenntnisse voraussichtlich für einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten (mehr als 182 Kalendertage) gefährdet ist. Dabei wird ein Zeitraum vom vermeintlichen Eintritt der Erwerbsminderung bis zur voraussichtlichen (Wieder-)Aufnah...