Rz. 144
Entbindet eine Frau früher als erwartet, müsste sich logischerweise der Anspruch auf Mutterschaftsgeld entsprechend verkürzen. Um jedoch Frauen, die früher als erwartet entbinden, den europaweit geregelten gesetzlichen Anspruch auf Mutterschaftsgeld für 6 Wochen (42 Tage) vor der Entbindung zu sichern, bestimmt § 24i Abs. 3 Satz 2, dass sich die Anspruchsdauer für die Zeit nach der Entbindung um die Anzahl der Tage verlängert, die das Kind früher als erwartet geboren wurde. Somit hat eine Frau, die früher als vorausberechnet entbindet, immer einen Anspruch auf Mutterschaftsgeld für 99 Tage bzw. 127 Tage (vgl. GR v. 06.12.2017-II i.d.F. v. 23.03.2022, Abschn. 9.4.1. Abs. 5). Das gilt auch dann, wenn die Frau noch kein Mutterschaftsgeld vor der Entbindung beantragt hat, aber der Krankenkasse aufgrund einer vor der Entbindung ausgestellten Bescheinigung i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 3 MuSchG nachweisen kann, dass die Entbindung letztendlich früher als erwartet eintrat.
Voraussichtlicher Entbindungstag, der der Krankenkasse durch ein ärztliches Zeugnis nachgewiesen wird: 27.6.
Tatsächliche Entbindung: 21.6. (keine Zwillingsgeburt, kein Merkmal "Frühgeburt" und auch kein Merkmal "Kind mit Behinderung")
Lösung:
Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld besteht grundsätzlich für 42 Tage vor dem Tag der voraussichtlichen Entbindung (27.6.), also ab 16.5.
Durch die früher als berechnet eingetretene Entbindung kann der 42-tägige Anspruch auf Mutterschaftsgeld für die Zeit vor der Entbindung nicht voll ausgeschöpft werden. Deshalb sind die Tage, die noch an dem 42-tägigen Anspruchszeitraum fehlen (hier: 6 Tage), am Ende des ursprünglichen Zeitraums, für den Mutterschaftsgeld beansprucht werden kann, anzuhängen. Mutterschaftsgeld ist somit zu zahlen
- für die Zeit vor der Entbindung vom 16.5. bis 20.6. (36 Tage),
- für den Entbindungstag (21.6.) und
- für 56 Tage nach der Entbindung – also bis 16.8. – sowie für weitere 6 Tage – also bis 22.8.
Entbindet eine Frau bereits vor dem Beginn der eigentlichen Schutzfrist bzw. vor dem eigentlichen Beginn der Phase der besonderen Schutzbedürftigkeit und kann sie der Krankenkasse ein Zeugnis bzw. eine Bescheinigung über den (zeitlich späteren) voraussichtlichen Entbindungstag vorlegen, sind die vollen 42 Tage, die für den Bezug von Mutterschaftsgeld für die Zeit vor der voraussichtlichen Entbindung angedacht sind, an den 8- bzw. 12-wöchigen Mutterschaftsgeldbezug nach der Entbindung anzuhängen.
Eine Frau entbindet bereits zu Beginn des 7. Schwangerschaftsmonats – und zwar am 11.10. (Frühgeburt). Ein Arzt hatte ihr mit Vordruck "Muster 3" den 15.12. als voraussichtlichen Entbindungstag bescheinigt. Die Frau hatte im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses noch am 10.10. gearbeitet und bis zu diesem Tag Arbeitsentgelt erzielt.
Folge
Der Tag des Beginns der Schutzfrist und damit der erste Tag des Anspruchs auf Mutterschaftsgeld wird berechnet, indem vom voraussichtlichen Entbindungstag (15.12.) aus 42 Tage zurückgerechnet werden. Bei den 42 Tagen wird der Tag der Entbindung als Ereignistag nicht mit einberechnet. Mutterschaftsgeld wäre deshalb vom voraussichtlichen Entbindungstag aus berechnet ab 3.11. zu zahlen.
Die tatsächliche Entbindung erfolgt bereits am 11.10. Da die Frau somit keinen der 42 Tage, die ursprünglich als Schutzfrist/Mutterschaftsgeldbezugszeit für die Zeit vor der Entbindung angedacht waren, ausschöpfen kann, sind die fehlenden 42 Tage an die nach der Entbindung laufende Schutzfrist anzuhängen. Vom 11.10. an ist bis zum 14.2. des Folgejahres für insgesamt (1 + 84 + 42 =) 127 Tage Mutterschaftsgeld zu zahlen.
Kann die Frau dagegen der Krankenkasse keines der oben erwähnten Zeugnisse/Bescheinigungen über den voraussichtlichen Entbindungstag vorlegen und hat sie in Unkenntnis der tatsächlich früher eintretenden Entbindung noch gearbeitet und Arbeitsentgelt bzw. Arbeitseinkommen erzielt, verschiebt sich der Zahlungszeitraum in entsprechender Anwendung des Art. 8 Abs. 1 EG-Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG um die Tage, an denen die Frau während der Schutzfrist noch arbeitete (zur Begründung vgl. Rz. 153 ff.).