Rz. 2
Die strukturierten Behandlungsprogramme bei chronischen Krankheiten werden in der Medizin auch als Disease-Management-Programme (DMP) bezeichnet. Sie beschreiben eine medizinische Versorgungsform mit einem dem Grund nach präventiven Behandlungsansatz. Der typische Verlauf einer chronischen Krankheit wird von seinem Ende her betrachtet. Gesicherte Erkenntnisse über vorhandene Möglichkeiten, unerwünschte Behandlungsverläufe bzw. schwerwiegende Krankheitsfolgen durch geeignete medizinische Interventionen zum richtigen Zeitpunkt zu vermeiden, das ist die Zielstellung. Die chronisch kranken Patienten benötigen eine dauerhafte intensive und vorausschauende Krankheitsbetreuung.
Ist z. B. bei einem Diabetiker der Blutzucker gut eingestellt und sind auch die Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen gut behandelt, kommt es sehr selten zu schweren Komplikationen wie z. B. Nierenversagen mit der Notwendigkeit der regelmäßigen Dialyse oder die Erblindung durch diabetische Augenkrankheiten. Durch konsequente Behandlung und eine zwischen dem behandelnden Arzt und dem diabetischen Patienten abgestimmte Behandlungsstrategie, die sich auf die Einnahme von Medikamenten, die vielfältigen Möglichkeiten der Lebensstiländerung (Sport, Nichtrauchen, Reduzierung des Übergewichts) bezieht, Termine für Diabetes-Schulungen und ggf. Bluthochdruck-Schulungen festlegt und bei der individuelle, realistische Therapieziele vereinbart werden, lassen sich die schlimmen Folgen der Diabetes-Krankheit wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenschädigungen, Augenschädigungen oder Fußamputationen deutlich reduzieren.
Dies setzt voraus, die Palette der Behandlungsmöglichkeiten auf bestimmte Standards zu reduzieren. Die Programme basieren auf verbindlichen und aufeinander abgestimmten Behandlungs- und Betreuungsprozessen, die dafür sorgen, dass definierte Versorgungsziele für die bestimmte Patientengruppe mit hoher Treffsicherheit und Effizienz tatsächlich erreicht werden. Der chronisch kranke Patient wird im Übrigen so durch die Versorgung seines Krankheitsbildes geleitet, dass er zur richtigen Zeit durch die richtige Versorgungsebene (Hausarzt, Facharzt, Krankenhaus u. a.) behandelt werden kann. Ungezielte Behandlungsversuche, Schnittstellenprobleme zwischen den Versorgungsebenen und Behandlungsdoubletten, die heute gerade in der Regelversorgung chronisch Kranker nicht selten vorkommen, sollen auf diese Weise vermieden bzw. ausgeschlossen werden, was die Patientenorientierung im jeweiligen Behandlungsprogramm verbessert, die Qualität der Versorgung erhöht und gleichzeitig Kosten spart.
Rz. 3
Kernstück jedes DMP sind vereinbarte, als "best practice" ausgewiesene Behandlungsleitlinien und Kooperationsmuster zwischen den beteiligten Versorgungsebenen. Dies schließt entgegen geäußerter Kritik eine "Billigmedizin" von vornherein aus, weil die zur Verfügung stehenden Ressourcen im Sinne einer hochwertigen und in angemessener Kosten-Nutzen-Relation stehenden medizinischen Versorgung möglichst effektiv eingesetzt werden. Vereinbarung setzt zudem voraus, dass sich jeder Leistungserbringer auf freiwilliger Basis entscheiden kann, ob er unter den bekannten Bedingungen an dem Programm teilnehmen möchte oder nicht. Bei Nichtteilnahme ist aber in Zukunft nicht ausgeschlossen, dass sich chronisch Kranke u. U. andere Leistungserbringer suchen, insbesondere wenn sich ein erfolgreiches DMP-Programm z. B. über Selbsthilfegruppen bei den Patienten herumgesprochen haben wird.
Im Rahmen der Vereinbarung müssen ferner die erforderliche Qualifikationen der Leistungserbringer bestimmt und Standards der Prozessqualität festgelegt werden, nach denen sich auch die Dokumentationspflichten ausrichten. Die erreichten Versorgungsergebnisse werden ständig evaluiert und an die Leistungserbringer zur Selbstprüfung zurückgespielt (Benchmarking). Damit kann jeder Leistungserbringer feststellen, wo er mit seinen Ergebnissen steht und sich ggf. korrigieren.
Ohne aktive Einbindung des chronisch Kranken kann kein DMP Erfolg haben. Deshalb sollen sie sich ebenfalls auf freiwilliger Basis in das Programm einschreiben können, nachdem ihnen dessen Inhalt verständlich vermittelt worden ist. Schließlich geht es darum, mit Unterstützung des Patienten die unerwünschten Krankheitsverläufe bzw. schwerwiegenden Krankheitsfolgen möglichst zu vermeiden. Spezielle, auf das Krankheitsbild zugeschnittene Patientenschulungen sind daher ebenso unverzichtbare Bestandteile des DMP wie ein Behandlungs-Management, zugeschnitten auf den individuellen Bedarf des einzelnen Patienten.
Bis zum 31.12.2011 basierten die strukturierten Behandlungsprogramme auf der Rechtsverordnung des BMG nach § 266 Abs. 7 Nr. 3 HS 2 (Risikostruktur-Ausgleichsverordnung – RSAV). Der Gemeinsame Bundesausschuss hatte dem BMG für die Abgrenzung der Versichertengruppen nach § 267 Abs. 2 Satz 4 und unter Beachtung der Kriterien nach Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift die geeigneten chronischen Krankheiten vorzuschlagen, für...