Rz. 5
Unter besondere ambulante ärztliche Versorgungsaufträge fallen mit Wirkung zum 23.7.2015 auch die Selektivverträge, die bisher als Strukturverträge nach § 73a a. F. bzw. als Verträge über die besondere ambulante ärztliche Versorgung nach § 73c a. F. geregelt waren. In entsprechender Anwendung der Rechtsprechung zu den bisherigen §§ 73a und 73c sind auch die Verträge über besondere ambulante ärztliche Versorgungsaufträge fakultative, nicht schiedsamtsfähige Verträge, bei denen die gerichtliche Kontrolle noch weiter eingeschränkt wird als bei der Überprüfung schiedsamtsfähiger Gesamtverträge. Eine gerichtliche Prüfung muss sich damit auf die Prüfung gravierender Rechtsfehler und damit letztlich auf die Frage beschränken, ob die Vertragsparteien gegen das Willkürverbot verstoßen haben. Auch wenn die Ermessensfreiheit bei Abschluss und Ausformung dieser Verträge weit ist, unterliegt sie doch insofern einer Begrenzung, als öffentlich-rechtliche Institutionen bei ihrer Tätigkeit die Grenzen der Sachwidrigkeit beachten müssen (so LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 19.2.2014, L 11 KA 68/12; BSG, Beschluss v. 22.6.2005, B 6 KA 20/05 B, zu Strukturverträgen nach § 73 a).
2.2.1 Regionale Beschränkung der Selektivverträge (Abs. 1 Satz 3)
Rz. 5a
Mit Wirkung zum 1.1.2021 ist die Flexibilität der Vertragsgestaltung dahingehend erweitert worden, dass nach Abs. 1 Satz 3 die besondere Versorgung sich auf einzelne Regionen des Kassenbereichs beschränken oder regionale Besonderheiten abweichend von der Regelversorgung abbilden kann. Nach der Gesetzesbegründung ist es insbesondere für überregional tätige Krankenkassen wichtig, dass sie die Teilnahme an Selektivverträgen mit regionalem Bezug auf die in einer Region versicherten Personen beschränken können. Zwar können alle Krankenkassen im Hinblick auf die teilnehmenden Leistungserbringer differenzieren, aber in der Praxis war es bisher für die Aufsichtsbehörden strittig, ob auch beim teilnehmenden Personenkreis regional differenziert werden darf oder ob allen Versicherten der vertragschließenden Krankenkasse unabhängig vom Wohnort ein Beitrittsrecht zusteht.
Ein bundesweites Beitrittsrecht für alle Versicherten wäre aber nicht praktikabel, sondern würde ein erhebliches Hindernis für die Beteiligung der Krankenkassen an regionalen Versorgungsinnovationen bedeuten. Kleinere regionale Krankenkassen hätten dann zudem einen Wettbewerbsvorteil bei der Entwicklung von Versorgungsinnovationen.
Die Möglichkeiten des § 140a sind jedoch wichtig für alle Krankenkassen, um neue Versorgungsformen zu testen und sich im Wettbewerb von anderen Krankenkassen unterscheidbar zu machen. Daher ist nach der Gesetzesbegründung auch bei überregional tätigen Krankenkassen die regionale Beschränkung und die damit verbundene Ungleichbehandlung ihrer Versicherten, abhängig von deren Wohnort, gerechtfertigt. Bei erfolgreichen Verträgen ist davon auszugehen, dass die Krankenkassen die gewonnenen Erkenntnisse auch bei Vertragsabschlüssen in anderen Regionen berücksichtigen. Letztlich profitieren damit alle Versicherten mittelfristig von den regional entwickelten Innovationen.
Anders als in der Regelversorgung kann nach der Gesetzesbegründung aber insbesondere auf die Freiwilligkeit der Teilnahme von Versicherten, Leistungserbringern und Krankenkassen an der besonderen Versorgung nicht verzichtet werden. Auch eine Verlagerung der Vertragskompetenz auf die Verbandsebene wäre in der selektivvertraglichen Versorgung systemfremd. Nicht möglich sind deshalb landesbezogene bzw. kassenartbezogene Kollektivverträge zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den KVen oder anderen Kollektivvertragspartnern mit unmittelbarer Verbindlichkeit für deren Mitglieder. Derartige kollektive Abweichungen von der bundeseinheitlich bestehenden Regelversorgung sind daher nicht Gegenstand der besonderen selektivvertraglichen Versorgung.
2.2.2 Beispiele für den medizinischen Inhalt ärztlicher Selektivverträge
Rz. 5b
Besondere ambulante ärztliche Versorgungsaufträge beziehen sich z. B. auf den besonderen Betreuungsaufwand für Patienten mit schwierigen und langwierigen Erkrankungen. In Indikationsgruppen und Diagnoseeinteilungen sind die Patienten mit erhöhtem Versorgungsbedarf im Vertrag definiert, wie z. B. angeborene Herzfehler, angeborene Fehlbildungen des Kreislaufsystems, alkohol- oder drogeninduzierte Psychose, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, bipolare affektive Störungen/Anorexia nervosa, Bulimie, Entzündung/Nekrose von Knochen, Gelenken, Muskeln, Diplegie der oberen Extremitäten, Monoplegie und andere Lähmungen, Epilepsie, Hämophilie u. a. Der Patient, der sich für den ihn betreffenden selektiven Versorgungsauftrag entscheidet, erhält
- eine umfassende, abgestimmte, engmaschige und kontinuierliche Betreuung durch den gewählten Hausarzt, der am Versorgungsauftrag teilnimmt,
- über den Umfang der vertragsärztlichen Regelversorgung hinaus ein patientenorientiertes Dienstleistungsangebot u. a. im Bereich der Sprechstunden und Hausbesuche, bessere Kooperation, konsequente Patientenbegleitung und ein umfassendes Qualitätsmanagement,
- eine erhöhte Beratungs- und...