2.1 Bilden einer Rücklage (Abs. 1)
Rz. 6
Die Krankenkasse bildet eine Rücklage, um ihre Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Die Regelung ist insbesondere für den Fall gedacht, dass Einnahme- und Ausgabeschwankungen durch Einsatz der Betriebsmittel (§ 260) nicht mehr ausgeglichen werden können (§ 82 SGB IV). Eine Krankenkasse ist leistungsfähig, wenn sie ohne einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag (§ 242) ihre gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben erfüllen und die Verwaltungskosten tragen kann.
2.2 Höhe der Rücklage (Abs. 2)
2.2.1 Rücklage-Soll (Satz 1)
Rz. 7
Die Satzung bestimmt die Höhe der Rücklage. Zuständiges Organ der Krankenkasse ist der Verwaltungsrat (§ 197 Abs. 1 Nr. 1).
Rz. 8
Das Rücklagesoll wird durch einen Vomhundertsatz des nach dem Haushaltsplan durchschnittlich auf den Monat entfallenden Betrags der Ausgaben festgelegt. Ausgaben in diesem Sinne sind
- Leistungsausgaben (§§ 11 ff.; Kontenklasse 4/5),
- Vermögens- und sonstigen Aufwendungen (Kontenklasse 6) und
- Verwaltungskosten (Kontenklasse 7)
(§ 260 Abs. 1 Nr. 1).
2.2.2 Grenzwerte (Satz 2)
Rz. 9
Das Rücklagesoll beträgt mindestens ein Fünftel einer Monatsausgabe (seit 1.4.2020; vorher: 25 %). Eine Obergrenze ist in der Norm nicht enthalten. Sie ergibt sich zusammen mit den Betriebsmitteln aus § 260 Abs. 2 Satz 1. Der Verwaltungsrat entscheidet in diesem Rahmen aufgrund seiner Satzungsautonomie. Der Zweck der Norm (Sicherstellung der Leistungsfähigkeit) begrenzt den Verwaltungsrat bei seiner Entscheidung.
Rz. 9a
Die zum 1.4.2020 abgesenkte gesetzliche Mindestrücklage ist ausreichend, weil die Krankenkassen durch die garantierten Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds kein Einnahmerisiko tragen. Konjunkturell bedingte unterjährige Beitragsmindereinnahmen gehen vollständig zulasten des Gesundheitsfonds und werden durch die Liquiditätsreserve (§ 271 Abs. 2) aufgefangen.
2.3 Zuführen zu den Betriebsmitteln (Abs. 3)
Rz. 10
Mittel aus der Rücklage können den Betriebsmitteln zugeführt werden (Satz 1). Die Krankenkasse trifft darüber eine Ermessensentscheidung. Zuständiges Organ ist der Vorstand (§§ 35, 35a SGB IV). Die Zuführung ist zulässig, wenn Einnahme- und Ausgabeschwankungen innerhalb eines Haushaltsjahres nicht durch die Betriebsmittel ausgeglichen werden können.
Rz. 11
Das Ermessen ist eingeschränkt (soll), wenn durch das Zuführen von Mitteln aus der Rücklage eine Erhöhung des Zusatzbeitragssatzes (§ 242) während des Haushaltsjahres vermieden werden kann (Satz 2). Bei einer am Text orientierten Auslegung der Norm ist davon auszugehen, dass bereits ein Zusatzbeitrag erhoben wird, dessen Erhöhung durch die Zuführung während des Haushaltsjahres abgewendet werden kann. Andererseits ist trotz einer Zuführung nicht ausgeschlossen, den Zusatzbeitragssatz auch während des Haushaltsjahres zu erhöhen.
Rz. 12
Der Mindestbetrag der Rücklage darf nicht unterschritten werden (vgl. Rz. 9; Baierl, in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 261 Rz. 25 m. w. N.).
2.4 Auffüllen der Rücklage (Abs. 4)
Rz. 13
Die Satzungsregelung über das Rücklagesoll ist ein Gesetz im materiellen Sinne. Wenn das Rücklage-Ist dem nicht entspricht, dann ist die Rücklage aufzufüllen. Ein Ermessen steht der Krankenkasse nicht zu.
Rz. 14
Spätestens beim Aufstellen des Haushaltsplans (§ 67 Abs. 1 SGB IV) sind entsprechende Beträge in den Haushaltsplan einzustellen. Dabei ist die Rücklage im Regelfall mit einem Betrag in Höhe von mindestens der Hälfte des Rücklagesolls aufzufüllen. Danach wird das Rücklagesoll spätestens innerhalb von 2 Jahren erreicht. Die rechtswidrige Unterschreitung des Rücklagesolls wird damit kurzfristig behoben und die Leistungsfähigkeit der betroffenen Krankenkasse gesichert.
Rz. 15
Es können sowohl höhere als auch niedrigere Auffüllbeträge gewählt werden. Insbesondere wenn durch das Auffüllen der Rücklage ein Zusatzbeitrag eingeführt oder erhöht werden müsste, der nur mit hohen Mitgliederverlusten durchzusetzen wäre, kann die Rücklage über einen längeren Zeitraum als von 2 Jahren aufgefüllt werden.
2.5 Übersteigen des Rücklagesolls (Abs. 5)
Rz. 16
Beträge, die das Rücklagesoll übersteigen, sind den Betriebsmitteln zuzuführen. Entsprechende Maßnahmen können bei der Haushaltsplanung oder im laufenden Haushaltsjahr ergriffen werden.
2.6 Anlegen und Verwalten der Rücklage (Abs. 6)
2.6.1 Anlegen (Satz 1)
Rz. 17
Um dem Zweck der Rücklage zu entsprechen, sind i. d. R. kurzfristige Anlagearten für die Rücklage zu wählen. Insoweit kommen die Anlagearten nach § 83 SGB IV nach der amtlichen Begründung (vgl. BT-Drs. 8/3126 S. 12) nicht in Betracht. Die Mittel können ggf. auch mittel- bis langfristig angelegt werden. Sie müssen bereit stehen, um im zeitlichen Verlauf absehbare Liquiditätsengpässe im Zahlungsverkehr vermeiden oder abwenden zu können. Soweit Anlagen im Rahmen des § 83 SGB IV gewählt werden, die der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der Krankenkasse Rechnung tragen, d. h., wenn kurzfristige Anlagen gewählt werden, können auch die Anlageformen des § 83 SGB IV infrage kommen.
Rz. 18
Unabhängig davon ist die Rücklage so anzulegen, dass ein Verlust ausgeschlossen erscheint, ein angemessener Ertrag erzielt wird und eine ausreichende Liquidität gewährleistet ist (§ 80 Abs. 1 SGB IV). Vom Zweck der Rücklage her gesehen hat der Anlagegrundsatz der Liquidität Priorität vor dem Anlagegrundsatz ...