2.2.1 Krankenbehandlung (Abs. 1 Satz 2)
Rz. 26
Die Krankenkassen gewährleisten als die für die gesetzliche Krankenversicherung zuständigen Sozialleistungsträger (§ 21 SGB I) ihren Versicherten die medizinisch notwendigen Leistungen des GKV-Leistungskatalogs als Sach- und Dienstleistungen grundsätzlich durch Leistungserbringer. Die Krankenkassen stellen den Versicherten die benötigte Behandlung unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots grundsätzlich als Naturalleistung in der Weise zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Gemäß § 13 Abs. 1 darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das 9. Buch vorsieht. Die Versicherten können gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 u. a. unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten frei wählen (BSG, Urteil v. 30.7.2019, B 1 KR 15/18 R Rz. 16). Nach § 2 Abs. 2 schließen die Krankenkassen über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen Verträge mit den Leistungserbringern, deren Inhalt sich nach den Regelungen des 4. Kapitels (§§ 69 ff.) bestimmt. § 85 regelt insoweit die Vergütungsströme (so anschaulich Freudenberg, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 85 Rz. 16) in der gesamten vertragsärztlichen Versorgung (für den vertragszahnärztlichen Bereich vgl. die §§ 87a bis d). Die aus dieser gesetzlichen Konzeption folgenden Rechtsbeziehungen zwischen Versicherten, Krankenkassen, K(Z)ÄV und Ärzten sind fallbezogen differenziert auf der Grundlage der konkret in Frage stehenden Rechtsbeziehung zu betrachten (vgl. schon BSG, Urteil v. 24.11.1998, B 1 KR 21/96 R Rz. 12).
Rz. 27
Es besteht also das Versicherungsverhältnis zwischen Versichertem und Krankenkasse, zusätzlich das Behandlungsverhältnis des Versicherten zum Leistungserbringer und letztlich das Abrechnungsverhältnis zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse. Dem behandelnden Arzt kommt insofern eine entscheidende Funktion ("Schlüsselrolle", vgl. Steege, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 27 Rz. 91 ff.) zu, als er im Verhältnis zum Versicherten verbindlich über den Leistungsanspruch entscheidet. Diese Entscheidung muss die Krankenkasse im Verhältnis zum Versicherten grundsätzlich gegen sich wirken lassen, soweit die Behandlung sich im Rahmen der den gesetzlichen Kriterien entsprechenden Behandlungsoptionen hält. Begrenzt wird die Therapiefreiheit des Arztes nämlich von den gesetzlichen Vorgaben, die ihn insbesondere zur Beachtung der durch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs. 1 vorgenommenen abstrakt-generellen Konkretisierung der Leistungsansprüche zwing (vgl. näher in Rz. 32 ff.). Die etwaige Kontrolle der Krankenkasse gegenüber dem Arzt vollzieht sich erst im Abrechnungsverhältnis (vgl. Knispel, in: BeckOk Sozialrecht, § 27 SGB V, Rz. 15 ff.).
Rz. 28
Maßnahmen, die dem Eintritt einer Erkrankung vorbeugen sollen, gehören grundsätzlich nicht zum Leistungsumfang der Krankenversicherung. Ausnahmsweise sehen §§ 25 und 26 und ab 1.9.2019 auch § 26j derartige prophylaktische Leistungen als Leistungen der Krankenversicherung in dem dort beschriebenen Umfang vor.
Ein Anspruch auf Krankenbehandlung besteht auch dann, wenn es um Maßnahmen zur Erkennung von Krankheiten geht. Diagnostische Maßnahmen sind selbst dann Krankenbehandlung, wenn sie dazu führen, dass Erkrankungen ausgeschlossen werden. Der Krankheitsverdacht muss lediglich begründet sein, d. h. sich auf konkrete Anhaltspunkte stützen. Hiervon zu unterscheiden sind Untersuchungen nach Maßgabe des § 25, die der Krankheitsfrüherkennung dienen (vgl. die Komm. dort). Der Verdacht oder das Risiko einer Erkrankung können dann einen Leistungsanspruch auslösen, wenn ein Behandlungsbedarf aus medizinischen Gründen notwendig ist. So besteht für die alternativlose prophylaktische Mastektomie einschließlich Brustrekonstruktion bei BRCA–Genmutation und entsprechender familiärer Belastung ein Krankenbehandlungsanspruch (näher Hauck, NJW 2016, 2695).
Rz. 29
Die Begrenzung des sachlichen Umfangs des Anspruchs auf Krankenbehandlung ergibt sich aus Satz 1. Danach muss die Krankenbehandlung notwendig sein, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Diese Formulierung knüpft an die Rechtsprechung des BSG zu § 182 Abs. 2 RVO an, wonach die Krankenpflege ausreichend und zweckmäßig zu sein hat, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf. Maßstab ist allein die Behandlungsbedürftigkeit. Der regelwidrige Körperzustand muss nach den Regeln der ärztlichen Kunst einer Behandlung mit dem Ziel der Heilung, zumindest der Besserung oder der Verhütung der Verschlimmerung des regelwidrigen Zustands oder der Linderung von Schmerzen zugänglich sein (Behandlungsfähigkeit). Maßnahmen der Lebensverlängerung fallen zweifellos darunter. Die Notwendigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Er wird ergänzt durch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12) sowie das Gebot, dass Qualität und ...