2.1 Ärztliche Behandlung (Abs. 1)
Rz. 4
Der Versicherte hat einen Naturalleistungs- oder Naturalverschaffungsanspruch (Primäranspruch) auf die Sach- oder Dienstleistung der Kasse. Dieser ergibt sich grundsätzlich aus dem materiellen Leistungs- bzw. Leistungserbringungsrecht des SGB V, Voraussetzung des Entstehens dieses Anspruchs ist die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls in medizinischer Hinsicht durch Diagnose einer Krankheit sowie die Verordnung einer medizinisch nach Art und Zweck bestimmten Sach- oder Dienstleistung durch einen an der kassenärztlichen bzw. vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt (BSG, SozR 3-2500 § 13 Nr. 4). Diese zentrale Funktion des Kassen- bzw. Vertragsarztes bekräftigt § 28 Abs. 1, der gleichzeitig die ärztliche Behandlung definiert. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 haben Versicherte nur dann Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Unter einer Krankheit im Rechtssinne versteht die Rechtsprechung des BSG einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (vgl. u. a. BSG, Urteil v. 28.8.2010, B 1 KR 5/10 R m. w. N.). Erforderlich ist, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (st. Rspr, vgl. z. B. BSGE 100 S. 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 14; BSGE 93 S. 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 3; BSGE 93 S. 94, 102 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 4 S. 29; zu einer Hodenprothese BSGE 82 S. 158, 163 f. = SozR 3-2500 § 39 Nr. 5 S. 29 f.). Nach wie vor verneint das BSG die Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl. nur BSGE 100 S. 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 14; BSGE 93 S. 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 35; BSGE 82 S. 158, 163 f. = SozR 3-2500 § 39 Nr. 5 S. 29 f.; BSG, Urteil v.28.9.2010, B 1 KR 5/10 R – Minipenis). Operationen am – krankenversicherungsrechtlich betrachtet – gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, begründen grundsätzlich keine Behandlungsbedürftigkeit.
Die Norm erfasst nur Tätigkeiten, die ihrer Natur nach zur ärztlichen Behandlung zählen und die der Arzt aufgrund seines Fachwissens verantworten kann. Das Tätigwerden von Personen, die für ihre Berufsausübung ein ganz anderes Fachwissen benötigen, kann nicht als eine zur ärztlichen Behandlung gehörende Hilfeleistung gerechnet werden (z. B. die Heranziehung eines Dolmetschers, BSG, SozR 3-2500 § 28 Nr. 1).
Rz. 4a
Grundsätzlich hat der Arzt die ärztliche Behandlung persönlich zu erbringen. Nach Abs. 1 Satz 2 gehören zur ärztlichen Behandlung aber auch Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten sind. Der Arzt darf also durchaus Leistungen an nichtärztliches Personal delegieren, soweit er die Erbringung überwacht und anleitet. Um die Delegation an nichtärztliches Personal zu erweitern, aber auch zu konkretisieren, sind durch das GKV-VStG mit den Sätzen 3 und 4 in Abs. 1 mit Wirkung zum 1.1.2012 Regelungen eingeführt worden, die die Grenzen und Anforderungen an die Delegation konkretisieren sollen. Die Partner der Bundesmantelverträge haben für die ambulante Versorgung beispielhaft festzulegen, bei welchen Tätigkeiten Personen nach Satz 2 ärztliche Leistungen erbringen können und welche Anforderungen an die Erbringung zu stellen sind. Wie das Wort beispielhaft verdeutlicht, hat die zu erstellende Beschreibung keinen abschließenden Charakter, sondern lediglich den einer Aufzählung, die der Orientierung des behandelnden Arztes bei dem ihm eröffneten Spielraum dienen soll. Der Gesetzgeber verspricht sich von dieser Regelung einen Beitrag zur Entlastung des Arztes und damit zur Verbesserung der Versorgung. Dieser Verpflichtung sind die Vertragspartner durch die "Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 SGB V vom 1.10.2013 (Stand 1.1.2015)" nachgekommen (zu den Einzelheiten vgl. https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/aerztliche_versorgung/bundesmantelvertrag/bmv_anlagen/BMV_Anlage_Nr_24_Delegation.pdf). Der Auftrag an die Bundesmantelvertragspartner ist zunächst auf die ambulante Versorgung beschränkt (BT-Drs. 17/6906 S. 54). Hiervon unberührt bleibt die Regelung in § 63 Abs. 3c, durch die der Gemeinsame Bundesausschuss beauftragt wird, in Richtlinien festzulegen, in welchen Fällen eine Übertragung von Heilkunde auf Angehörige der Pflegeberufe möglich ist und die darauf fußende Möglichkeit der Krankenkassen, entsprechende Modellvorhaben durchzuführen.
Rz. 5
Zur ärztlichen Behandlung gehören auch die Leistungen zur Förd...