2.10.1 Abs. 5 in der Fassung bis zum 19.6.2021
Rz. 51
Das BSG hatte mit Urteil v. 28.2.2008 (B 1 KR 16/07 R – Lorenzos Öl) klargestellt, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in Abs. 1 Satz 2 abschließend die 4 Produktgruppen diätetischer Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, nämlich Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung die medizinisch notwendigen Fallgruppen festgelegt hat, in denen die gesetzliche Krankenversicherung ihre Versicherten hiermit zu versorgen hat. Es bestand kein Raum für eine erweiternde Auslegung der Produktgruppen enteraler Ernährung.
Damit reichte die gesetzliche Regelung nicht aus, eine Versorgung von Versicherten mit anderen diätetischen Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke zu begründen, auch wenn dies medizinisch notwendig war.
Rz. 52
Vor diesem Hintergrund sah sich der Gesetzgeber mit dem GKV-OrgWG veranlasst, einen Anspruch auf die Verordnung bilanzierter Diäten in das Gesetz aufzunehmen. Nach der Begriffsdefinition in § 1 Abs. 4a der Diätverordnung sind diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten) Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert und für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sind. Sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder ihrer Metaboliten oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen. Bilanzierte Diäten sind danach verordnungsfähig, wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist.
Beispiele:
- Verordnungsfähigkeit liegt bei Versicherten vor, die an angeborenen, seltenen Stoffwechseldefekten oder anderen diätpflichtigen Erkrankungen leiden, die ohne diätetische Intervention zu schwerer geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung führen, sowie allgemein bei fehlender oder eingeschränkter Fähigkeit zur ausreichenden, normalen Ernährung, wenn mit anderen Maßnahmen allein oder kombiniert eine ausreichende Ernährung im Einzelfall nicht sichergestellt werden kann.
- Beispielsfälle in der amtlichen Begründung (BT-Drs. 16/10609 S. 51): Versicherte, die an Defekten im Kohlenhydrate- oder Fettstoffwechsel, angeborenen Enzymdefekten, Niereninsuffizienz, Kuhmilcheiweißallergie, multiplen Nahrungsmittelallergien, Fettverwertungsstörungen und gestörter Aufnahme- und Ausnutzungsfähigkeit von Nährstoffen (z. B. bei Kurzdarmsyndrom, Mukoviszidose, Aids-assoziierten Diarrhöen) oder an Schluckstörungen (z. B. nach Schlaganfall, bei Tumoren im Kopf-/Halsbereich) leiden.
Zu den verordnungsfähigen Produkten können auch spezifisch auf ein Krankheitsbild abgestimmte Produkte gehören, wenn sie medizinisch erforderlich sind. Grundsätzlich nicht verordnungsfähig sind dagegen etwa glutenfreie Spezialmehle, lactosefreie Milchprodukte, phenylalaninfreie Fertigprodukte und andere entsprechende Lebensmittel.
Die Regelung ändert nichts daran, dass die Versorgung mit Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, sog. Krankenkost und anderen diätetischen Lebensmitteln als bilanzierte Diäten grundsätzlich nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, auch wenn therapeutische Effekte behauptet werden (vgl. zum Anspruch auf das Lebensmittel "SpongiCol" bei chronisch-entzündlicher Darmerkrankung LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 25.4.2016, L 11 KR 4685/15 – verneint; ebenso kein Anspruch auf glutenfreie Diätnahrung, LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 14.9.2016, L 6 KR 43/14).
Rz. 53
Unter welchen Voraussetzungen die Verordnung von Produkten zur enteralen Ernährung medizinisch notwendig, zweckmäßig, wirtschaftlich und damit verordnungsfähig ist, hat der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 zu bestimmen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers hat der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst vorrangige Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungssituation zu konkretisieren. Enterale Ernährung und sonstige Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungssituation schließen sich dabei nicht aus, sondern sind erforderlichenfalls miteinander zu kombinieren. Es ist Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses, die Verordnungsvoraussetzungen so zu präzisieren, dass für Ärzte und Patienten Rechtsklarheit über die Versorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung geschaffen wird und gleichzeitig für die verordnenden Ärzte der notwendige Spielraum für die Therapieentscheidung im Einzelfall verbleibt.
Dieser Aufgabenstellung sowie dem Auftrag, eine Zusammenstellung über die verordnungsfähigen Produkte zu erstellen, ist der Gemeinsame Bundesausschuss in den §§ 18 bis 26 AM-RL nachgekommen.
Verordnungs...