Rz. 7
Die Nutzenbewertung nach § 35a ist im Kontext mit § 130b zu sehen. Danach vereinbart der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit dem pharmazeutischen Unternehmer im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung auf Grundlage des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Nutzenbewertung mit Wirkung für alle Krankenkassen Erstattungsbeträge in Form von Rabatten auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers für Arzneimittel, die mit diesem Beschluss keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wurden. Die Erstattungsbeträge gelten ab dem 7. Monat nach dem erstmaligen Inverkehrbringen bzw. nach späterer Zulassung eines neuen Anwendungsgebietes (§ 130b Abs. 3a Satz 2 und 3). § 130b Abs. 3 verpflichtet die Vertragspartner für ein Arzneimittel, das nach dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 35a Abs. 3 keinen Zusatznutzen hat und keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann, einen Erstattungsbetrag zu vereinbaren, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die nach § 35a Abs. 1 Satz 7 bestimmte zweckmäßige Vergleichstherapie. Die Vereinbarung über die Vergütung sichert demnach die Wirtschaftlichkeit des Arzneimittels. Hierfür ist die Nutzenbewertung von ausschlaggebender Bedeutung. Sie stellt eine wissenschaftliche Begutachtung zur Zweckmäßigkeit eines Arzneimittels (§ 12) dar und beschreibt, welchen therapierelevanten medizinischen Nutzen ein Arzneimittel bei Anwendung in einem bestimmten Indikationsgebiet für bestimmte Gruppen von Patienten hat. Der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Nutzenbewertung ist der rechtlich tragfähige Rahmen für die Vereinbarung des Abrechnungspreises zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem pharmazeutischen Unternehmer. Sowohl Nutzenbewertung als auch Vereinbarung eines für die gesetzliche Krankenversicherung einheitlichen Erstattungsbetrages konkretisieren somit die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Arzneimittels. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob die Verordnung dieses Arzneimittels im Einzelfall zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Das Gebot des § 12 für die Wirkstoffauswahl gilt unverändert, sofern für eine Therapie mehrere Wirkstoffe zur Verfügung stehen. Auszuwählen ist nach wie vor derjenige Wirkstoff, der im Einzelfall zweckmäßig und wirtschaftlich für die Behandlung ist.
Rz. 8
Nach § 7 Abs. 2 AM-NutzenV wird mit der Nutzenbewertung die Validität und Vollständigkeit der Angaben in Dossiers des pharmazeutischen Unternehmers geprüft. Dabei werden die Unterlagen hinsichtlich ihrer Planungs-, Durchführungs- und Auswertungsqualität im Hinblick auf ihre Aussagekraft für Wahrscheinlichkeit und Ausmaß des Zusatznutzens und hinsichtlich der Angaben zu den Therapiekosten bewertet. Maßstab für die Beurteilung ist der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse. Grundlage sind die internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie. Die Bewertung darf den Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nicht widersprechen.
Rz. 9
Die Neuregelung der Nutzenbewertung ändert nichts daran, dass Versicherte unmittelbar nach Marktzugang Anspruch auf ein Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen haben. Die Unternehmen können bei Markteinführung ihr Produkt zum geforderten Preis vermarkten (vgl. hierzu krit. Hess, GGW 2011 Heft 1 S. 8, 9). Allerdings ist ein Jahr nach der Markteinführung ein GKV-Erstattungspreis für das Arzneimittel als Rabatt auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers zu vereinbaren. Dementsprechend sind die vorgegebenen Fristen zur Nutzenbewertung und zur Vereinbarung zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem pharmazeutischen Unternehmer in § 130b ausgestaltet (BT-Drs. 17/2413 S. 20).