2.4.1 Überblick
Rz. 72
Ein sozialversicherungsrechtlicher Anspruch auf Kinderkrankengeld besteht, sofern der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber für die Beaufsichtigung, Betreuung und Pflege seines Kindes freigestellt wird. Voraussetzung ist also, dass der Arbeitgeber aus arbeitsrechtlicher Sicht eine bezahlte oder unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung gewährt. Dieser Anspruch auf Freistellung besteht auf jeden Fall nach § 45 Abs. 3, 4 und 5. Ggf. ist der Arbeitgeber sogar gemäß § 616 BGB bzw. § 19 BBiG zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet (vgl. Rz. 73).
Wird für diese Freistellung ganz oder zum Teil Arbeitsentgelt fortgezahlt, ruht insoweit das Krankengeld nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 (BAG, Urteile v. 20.6.1979, 5 AZR 479/77 und 5 AZR 361/78). Ein expliziter Verweis in § 45 ist hierzu nicht erforderlich, denn § 49 erfasst alle Ansprüche auf Krankengeld und differenziert nicht zwischen dem Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit und dem Kinderkrankengeld (BSG, Urteil v. 31.1.1995, 1 RK 1/94).
Die Anwendung von Ruhensvorschriften ist für jeden Kalendertag, für den der Versicherte Kinderkrankengeld beansprucht, zu prüfen.
Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt führt nie zum Ruhen des Kinderkrankengeldes – auch wenn die Einmalzahlung zur Krankenversicherung beitragspflichtig ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 1). Da liegt daran, dass einmalig gezahltes Arbeitsentgelt nicht als Arbeitsentgelt i. S. d. Berechnungsvorschriften gilt (bewirkt nur, dass Kinderkrankengeld statt in Höhe von 90 % dann i. H. v. 100 % des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts gezahlt wird).
2.4.2 Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts
Rz. 73
Kann ein Arbeitnehmer nicht seine Arbeit fortführen, weil er sein erkranktes Kind beaufsichtigen, betreuen oder pflegen muss, hat der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt grundsätzlich nach § 616 Satz 1 BGB fortzahlen. Nach dieser Vorschrift haben Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn sie für eine "verhältnismäßig nicht erhebliche" Zeit ihre Arbeitsleistung nicht erbringen können aus Gründen, die nicht in ihrer Person liegen. Solch ein Grund liegt vor, wenn der Arbeitnehmer sein Kind wegen dessen Erkrankung zu Hause pflegt. In der Zeit vom 1.1.2021 bis 7.4.2023 lag so ein wichtiger Grund auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer der Arbeit deshalb fern blieb, weil sein Kind wegen pandemiebedingter Kindergarten- oder Schulschließungen etc. (vgl. Rz. 36 ff.) zu Hause beaufsichtigt werden musste.
Die Frage, was unter einer "verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit" zu verstehen ist, ist gemäß dem Urteil des VG Berlin v. 16.11.2022 (32 K 109/22) nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen (vgl. auch BAG, Urteil v. 11.8.1988, 8 AZR 721/85, juris Rz. 43; BAG, Urteil v. 13.11.1969, 4 AZR 35/69, juris Rz. 24; BAG, Beschluss v. 17.12.1959, GS 2/59, juris Rz. 59; BGH, Urteil v. 30.11. 1978, III ZR 43/77, juris Rz. 37). Einheitliche Grenzen lassen sich nicht für alle Fälle bestimmen, weil die in Betracht kommenden Sachverhalte zu verschiedenartig sind (BGH, Urteil v. 30.11.1978, a. a. O.). Bei der Bestimmung im Einzelfall kommt es vor allem maßgeblich auf das Verhältnis der Dauer der Verhinderung zur Gesamtdauer des Dienstverhältnisses an (BAG, Urteil v. 13.11.1969, a. a. O.; BAG, Beschluss v. 17.12.1959, a. a. O.; BGH, Urteil v. 30.11.1978, a. a. O.). Dieser Maßstab für die Verhältnismäßigkeitsprüfung beruht dabei insbesondere auf der Ableitung der Fortzahlungspflicht des Arbeitgebers aus der Fürsorgepflicht, die mit zunehmender Dauer des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses ansteigt.
In sehr vielen Arbeitsverträgen ist jedoch die Pflicht zur Fortzahlung des Lohns/Gehalts i. S. d. § 616 BGB explizit auf eine bestimmte Anzahl von Tagen/Arbeitstagen reduziert oder sogar ganz ausgeschlossen. Dieses ist rechtens (BAG, Urteil v. 11.8.1982, 5 AZR 1082/79) und von der Krankenkasse zu akzeptieren.
§ 616 BGB gilt nicht für Auszubildende. Für sie ergibt sich ein Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung aus den §§ 3, 19 BBiG. Auszubildende haben damit einen bis zu 6 Wochen dauernden Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn sie aus einem sonstigen, nicht in ihrer Person liegenden Grund verhindert sind, ihre Pflichten aus dem Berufsausbildungsverhältnis zu erfüllen. Dieser Anspruch kann nicht wie der nach § 616 BGB abgedungen werden.
Zur Anrechnung von geleisteter Entgeltfortzahlung auf die Höchstanspruchsdauer des Kinderkrankengeldes vgl. Rz. 74.
2.4.3 Auswirkungen von weiter gewährtem Arbeitsentgelt/Teil-Arbeitsentgelt
Rz. 74
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 ruht der Anspruch auf das Kinderkrankengeld, soweit und solange der Versicherte während des Bezuges der Leistung laufendes beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhält.
Maßgeblich ist das Arbeitsentgelt/Arbeitseinkommen, welches einer konkreten Arbeitsleistung bzw. einer Stundenzahl zugeordnet werden kann bzw. aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung (§ 616 BGB, § 19 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BBiG) fortgezahlt wird. Ferner muss das Arbeitsentgelt bzw. Arbeitseinkommen mit dem Zeitraum, für den Kinderkrankengeld gezahlt wird, in Beziehung stehen. Dieses ist dann gegeben, wenn z. B. das Arbeitsentgelt für die Z...