2.5.1 Historie
Rz. 14
Durch das GKV-WSG wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, dass Krankenkassen nicht nur Kollektivverträge, sondern auch Einzelverträge abschließen konnten. In dem damaligen Satz 2 wurde die entsprechende Geltung der §§ 19 bis 21 GWB bestimmt. Über das Ausmaß dieser Verweisung wurde in Rechtsprechung und Literatur eifrig gestritten. Deshalb versuchte der Gesetzgeber mit dem GKV-OrgWG eine Klärung herbeizuführen, indem er in Abs. 2 das Kartellvergaberecht auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern für anwendbar erklärte. Dadurch wurde jedoch die Diskussion über die Geltung des Kartellrechts im Verhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern nicht beendet. Denn vielfach wurde auf die marktbeherrschende Stellung der Krankenkassen, insbesondere bei Zusammenschlüssen von Krankenkassen bei Leistungsnachfragen, hingewiesen. Das veranlasste den Gesetzgeber mit dem AMNOG den Abs. 2 zu reformieren und im Ergebnis die wesentlichen Normen des Kartellrechts für anwendbar zu erklären. Er schaffte einen (neuen) Abs. 2, der von dem in Abs. 1 enthaltenen Grundsatz grundlegende Ausnahmen zulässt. So gelten nun die im GWB enthaltenen Vorschriften des allgemeinen Kartellrechts und des Vergaberechts. Eine Anwendbarkeit des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Leistungserbringerrecht ist jedoch unterblieben, so dass diese Rechtsgrundsätze weiterhin nur im Verhältnis der Krankenkassen untereinander gelten.
Zur Begründung dieser Novellierung hat der Gesetzgeber ausgeführt: Die §§ 19 bis 21 GWB erfassen das Vorgehen einzelner Krankenkassen und ermöglichen so eine Kontrolle bereits bestehender Marktmacht. Nicht erfasst sind jedoch Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen von Krankenkassen im Sinne des Kartellverbots. Mittlerweile sind Krankenkassen vielfach dazu übergegangen, gemeinsam Verträge abzuschließen. Beispiel dafür sind gemeinsame Ausschreibungen der Allgemeinen Ortskrankenkassen im Bereich der Rabattverträge in der Arzneimittelversorgung nach § 130a Abs. 8. Da derartige Praktiken von Krankenkassen bei Vertragsabschlüssen von den §§ 19 bis 21 GWB nicht erfasst werden, ist es erforderlich, die Geltungsanordnung des Kartellrechts zu regeln. Die entsprechende Anwendung des § 1 GWB wird daher künftig in den § 69 aufgenommen. Die §§ 2 und 3 GWB, die Freistellungen vom Kartellverbot vorsehen, gelten ebenfalls entsprechend.
Die entsprechende Geltung von §§ 1 bis 3 GWB stellt sicher, dass das Kartellrecht als Ordnungsrahmen umfassend auf die Einzelvertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern Anwendung findet und es auf Nachfrager-, aber auch auf Anbieterseite zu keinen unerwünschten, einer wirtschaftlichen Versorgung abträglichen Wettbewerbsbeschränkungen kommt (Kartellabsprachen und Oligopolbildung).
Darüber hinaus gelten die §§ 32 bis 34a und 48 bis 95 GWB, die die Befugnisse der Kartellbehörden und das Verfahren vor den Zivilgerichten bei kartellwidrigem Verhalten von Unternehmen regeln, entsprechend. Damit wird gewährleistet, dass die Kartellbehörden (Bundeskartellamt und die Kartellbehörden der Länder) die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften kontrollieren können und den Behörden die entsprechenden Befugnisse zur Beseitigung kartellwidrigen Verhaltens zur Verfügung stehen.
Die Anordnung der Geltung des gesamten Vierten Teils des GWB resultiert aus der Übertragung des Rechtsweges von der Sozial- auf die Zivilgerichtsbarkeit. Bisher galten nur die Regelungen, die die Überprüfung der Vergabeentscheidungen durch die Vergabekammern vorsahen (§§ 97 bis 115 und 128 GWB). Künftig gelten auch alle übrigen Vorschriften des Vierten Teils des GWB (BT-Drs. 17/2413 S. 26).
2.5.2 Adressaten
Rz. 15
Adressaten des allgemeinen Kartellrechts sind Krankenkassen und Leistungserbringer. Da die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-264/01, Slg. 2004, I-2493, Rz. 63) keine Unternehmen sind und der Gesetzgeber daran weder was ändern wollte noch konnte, ist eine eingeschränkte (partielle) Rechtsgrundverweisung erfolgt. Das heißt, das Kartellrecht ist auch auf Krankenkassen anwendbar. Die Unternehmenseigenschaft ist insoweit jedoch nicht zu prüfen. Eine wesentliche Abschwächung der Auswirkungen dieser Verweisung erfolgt jedoch durch die Ausnahmeregelung in Abs. 2 Satz 2 und 3 (Verträge und Vereinbarungen aufgrund gesetzlicher Verpflichtung).
2.5.3 Anwendbarkeit von §§ 1 bis 3 GWB
Rz. 16
Abs. 2 Satz 1 regelt die Anwendbarkeit von §§ 1, 2, 3 Abs. 1 GWB. Damit gilt im Leistungserbringerrecht das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (§ 1 GWB). § 2 GWB i. V. m. § 3 Abs. 1 GWB sind als Ausnahmeregelungen zu § 1 GWB für bestimmte Arten von Vereinbarungen zu sehen. Der Gesetzgeber hat ausgehend von der von ihm angenommenen "bestehenden Marktmacht" der Krankenkassen die Geltung des Kartellverbots angeordnet. Er hat sich dabei nicht dazu geäußert, in welcher Weise das mit der in § 4 Abs. 3 Satz 1 angeordneten Kooperationspflicht (auch kassenübergreifend) vereinbar ist. Lediglich der Bundesrat hat – ohne weitere Konsequen...