Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 4
Der Sicherungsstellungsauftrag ist ein gesetzlicher Auftrag, ohne den z. B. auch die ärztliche/zahnärztliche Versorgung der Personen, deren Krankenversicherungsschutz sich nach den eingeschränkten Tarifen der privaten Krankenversicherung richtet, nicht gewährleistet wäre. Ohne den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag wäre die auf ein Notfallniveau herabgesetzte ärztliche und zahnärztliche Versorgung der nach dem Notlagentarif der privaten Krankenversicherung versicherten Personen sowie die darauf bezogene Leistungsvergütung der Ärzte und Zahnärzte nicht zu garantieren, weil der personenbezogene, beitragspflichtige Versicherungsvertrag, der in der privaten Krankenversicherung der Erfüllung des obligatorischen Versicherungsschutzes dient, wegen Beitragsschulden bzw. Nichtzahlung der Beiträge ruht.
Rz. 5
Zwar lassen die Sonderfälle der §§ 63, 64 (Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Versorgung), des § 72a (Übergang des Sicherstellungsauftrags auf die Krankenkassen), des § 73b (hausarztzentrierte Versorgung) und die Besondere Versorgung nach § 140a in der mit Wirkung zum 23.7.2015 geltenden Fassung Möglichkeiten zu, dass die gesetzlichen Krankenkassen auch ohne die KV/KZV sog. Selektivverträge mit einzelnen Vertragsärzten oder -zahnärzten oder deren Gemeinschaften schließen, dies ändert aber nichts an der bestehenden Verantwortung der Selbstverwaltungskörperschaften der Ärzte und Zahnärzte für die Sicherstellung der kollektivvertraglich geregelten vertragsärztlichen und -zahnärztlichen Versorgung. Diese Verantwortung bleibt für eine KV auch deshalb umfassend erhalten, weil Selektivverträge nur mit Vertragsärzten geschlossen werden können, die aufgrund ihrer Zulassung oder Ermächtigung Mitglieder der KV sind. Als Vertragsärzte behandeln sie daher sowohl Patienten im Rahmen der kollektivvertraglichen Regelversorgung als auch Patienten im Rahmen der Selektivverträge, sofern sich der einzelne Versicherte für die Versorgung nach einem Selektivvertrag entschieden hat. Die Formulierung, in den Sonderfällen Verträge ohne die KVen schließen zu können, verfolgt im Übrigen das Ziel, dass Modellvorhaben, neue Versorgungsstrukturen wie die hausarztzentrierte Versorgung nach § 72b oder die besondere Versorgung nach § 140a, in der die bisherigen Strukturverträge, die Verträge über besondere ambulante ärztliche Versorgung und Verträge über die integrierte Versorgung gebündelt worden sind, in die Praxis umgesetzt und z. B. nicht durch ein Vetorecht der KV/KZV unterbunden werden können.
Rz. 6
Die Vertragskonstruktionen der Selektivverträge nach §§ 73b und 140a, bei denen die KV weitgehend außen vor ist, haben in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge, dass das Sicherstellungsmonopol der KV insoweit eingeschränkt ist. Einschränken bedeutet, dass die besondere hausärztliche Versorgung (hausarztzentrierte Versorgung) von solchen Vertragsärzten sichergestellt wird, die sich für die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung entschieden haben und die gleichzeitig auch die hausärztliche Versorgung nach § 73 Abs. 1 durchführen. Die KV hat die kollektivvertraglich geregelte hausärztliche Versorgung nach § 73 sicherzustellen, die Krankenkasse zunächst nur den kleineren Teil, der auf die hausarztzentrierte Versorgung der Versicherten entfällt, die sich für die hausarztzentrierte Versorgung entschieden haben. In dem Maße, wie sich immer mehr Versicherte für die hausarztzentrierte Versorgung entscheiden, haben die Krankenkassen sicherzustellen, dass in ausreichender Zahl und flächendeckend Vertragsabschlüsse über die hausarztzentrierte Versorgung mit qualifizierten, vertragsärztlich tätigen Hausärzten oder deren Gemeinschaften erfolgen. Der Vertragsabschluss für eine flächendeckende hausarztzentrierte Versorgung ist für die gesetzliche Krankenkasse zwingend. Dagegen steht es ihr frei, nach § 140a Verträge über die besondere Versorgung zu schließen, die eine die verschiedenen Leistungssektoren übergreifende oder eine interdisziplinär fachübergreifende Versorgung (integrierte Versorgung) vorsehen sowie unter Beteiligung vertragsärztlicher Leistungserbringer oder deren Gemeinschaften eine besondere ambulante ärztliche Versorgung ermöglichen. Entscheiden sich daher viele Versicherte einer Krankenkasse für die Teilnahme an den Verträgen über die besondere Versorgung nach § 140a, ist insoweit der Sicherstellungsauftrag der KV nach § 140a Abs. 1 Satz 3 ebenfalls eingeschränkt. In dem Ausmaß, welches je nach Versorgungsauftrag des einzelnen selektiven Versorgungsvertrages bis zu einer Übernahme der gesamten ambulanten ärztlichen Versorgung reichen könnte, würden bei diesen Patienten, kollektivvertragliche vertragsärztliche Leistungen nicht mehr anfallen, sodass der Sicherstellungsauftrag der KV durch den Sicherstellungsauftrag der Krankenkasse ersetzt würde mit der Folge, dass nunmehr die Krankenkasse dafür zu sorgen hätte, dass ausreichend qualifizierte Vertragsärzte zur Erfüllung dieses Versorgungsauftrages zur Verfügung stehen.