Prof. Dr. Volker Wahrendorf
2.1 Sicherstellung
Rz. 15
Der Sicherstellungsauftrag ist eine der Zentralnormen des Vertrags(zahn)arztrechts, ohne den der Naturalleistungs- oder Naturalverschaffungsanspruch (Sachleistungsprinzip) eines Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse nicht realisiert werden könnte. Die gesetzliche Krankenversicherung ist vom Sachleistungsprinzip geprägt, was bedeutet, dass die Krankenkassen sämtliche im Dritten Kapitel SGB V aufgeführten Leistungen den Versicherten als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen haben (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1). Wenn eine Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung notwendig wird, nimmt der Versicherte sie in Anspruch, die Kosten trägt unmittelbar die Krankenkasse mit Ausnahme der gesetzlich geregelten Zuzahlungen, die der Versicherte zu zahlen hat.
Der Sicherstellungsauftrag der KV und der KBV hängt von der Festsetzung des Bedarfs ab. Gemäß § 70 Abs. 1 haben die Krankenkassen und die Leistungserbringer eine quantitativ bedarfsgerechte und räumlich gleichmäßige Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Der zu entwickelnde Bedarfsplan dient der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung. Die Abhängigkeit von der Festlegung der Bedarfsprüfung kann nur in Sonderfällen der §§ 116, 116a, 116b und in Fällen der von den Zulassungsausschüssen festgestellten Sonderbedarfen durchbrochen werden. Dass eine Bedarfsprüfung mit der Verfassung vereinbar ist, hat das BVerfG (Beschluss v. 23.7.1963, 1 BvL 1/61) schon frühzeitig festgestellt.
Rz. 16
Die Krankenkassen können die zu den Sachleistungen gehörende ambulante ärztliche oder zahnärztliche Versorgung der Versicherten i. d. R. aber nicht selbst (in natura) erbringen, da sie keine Ärzte oder Zahnärzte beschäftigen (Ausnahme sind die wenigen, noch existierenden, zahnärztlichen Eigeneinrichtungen nach § 140), sodass die Krankenkassen dem Versicherten gegenüber auch nicht für eine kunstgerechte und sorgfältige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen bzw. zahnmedizinischen Erkenntnisse entsprechende, ärztliche oder zahnärztliche Behandlung einzustehen haben. Deswegen hat der Gesetzgeber durch Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift den regionalen Kassen(zahn-)ärztlichen Vereinigungen (KVen/KZVen), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sowie der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) die Aufgabe übertragen, im kollektivvertraglichen System anstelle der Krankenkassen die vertragsärztliche und die vertragszahnärztliche Versorgung sicherzustellen.
Rz. 17
Mit der Übertragung des Sicherstellungsauftrages sind die ärztlichen/zahnärztlichen Selbstverwaltungskörperschaften jedoch nicht die Träger der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung geworden. Weil die ärztliche und die zahnärztliche Versorgung vielmehr Bestandteile der zu gewährenden Sach- oder Dienstleistungen des materiellen Leistungs- und Leistungserbringerrechtes des SGB V sind, bleiben die Krankenkassen die Träger der Krankenversicherung und der sie prägenden Sach- oder Dienstleistungen; sie haben daher den Naturalleistungs- oder Naturalverschaffungsanspruch ihrer Versicherten zu erfüllen, wobei sich diese Verpflichtung jedoch darin erschöpft, dass sie auf ihre Kosten den Versicherten die Inanspruchnahme der ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung ermöglichen.
Rz. 18
Ebenso wie die Krankenkassen können aber auch die KVen/KZVen die ärztlichen oder zahnärztlichen Leistungen nicht als eigene Leistungen bzw. in natura erbringen, da sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts i. d. R. keine Ärzte (ausgenommen bei Sicherstellungsproblemen in speziellen KV-Eigeneinrichtungen nach § 105 Abs. 1c) oder Zahnärzte beschäftigen, welche die ärztliche oder zahnärztliche Versorgung durchführen. Ihre Aufgabe kann nicht weitergehen als die, welche die Krankenkassen leisten. Zum Sicherstellungsauftrag gehört daher, dass die KVen/KZVen den Versicherten, welche die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung in Anspruch nehmen, bedarfsgerecht und gleichmäßig, d. h. in zumutbarer Entfernung und in ausreichender Zahl, freiberufliche Ärzte, Psychotherapeuten, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) bzw. Zahnärzte vermitteln, die ihre ärztlichen oder zahnärztlichen Dienste am jeweiligen Vertrags(zahn)arztsitz anbieten.
Mit "vermitteln" erfüllen die KVen/KZVen die vorgenannte Verpflichtung der Krankenkassen, indem sie den Versicherten die Inanspruchnahme der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung durch niedergelassene approbierte Ärzte/Zahnärzte ermöglichen. Um im Rahmen der Vermittlung aber die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung der Versicherten in die Tat umzusetzen, geht der freiberufliche, niedergelassene Arzt/Psychotherapeut oder Zahnarzt freiwillig (d. h. auf seinen Antrag hin) mit der Zulassung oder Ermächtigung zur Teilnahme an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung (vgl. § 95) Rechtsbeziehungen zu der für ihn zuständigen KV/KZV ein; er wird gemäß § 77 Abs. 3 Mitglied der KV bzw. KZV und ist als sog. Vertrags(zahn)arzt nach § 95 Abs. 3 und 4 berechtigt, aber auch verpflichtet, an der vertrags(zahn)ärztl...