Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 33
Bereits am 20.6.2019 hatten sich die KBV und der GKV-Spitzenverband im Bewertungsausschuss (vgl. § 87 Abs. 3) auf konkrete Eckpunkte zum TSVG geeinigt. Neben der notwendigen Klärung der Vergütung, wie die Maßnahmen aus dem TSVG mit Wirkung zum 11.5.2019 extrabudgetär vergütet werden (vgl. dazu § 87b), sind damit zusammenhängende weitere Details für die Terminvermittlung durch den Hausarzt, die offenen Sprechstunden und die Behandlung neuer Patienten sowie die Vermittlung eines Behandlungstermins durch die Terminservicestelle im Akutfall festgelegt worden.
Danach gehören zu den infrage kommenden TSVG-Konstellationen die
- Terminvermittlung durch die Terminservicestellen (TSS-Vermittlungsfall und TSS-Akutfall),
- Terminvermittlung durch den Hausarzt beim Facharzt (HA-Vermittlungsfall),
- offene Sprechstunde,
- Behandlung neuer Patienten.
Aufgrund der Einigung der Partner des BMV-Ä ist die Vermittlung für einen dringenden Facharzttermin durch den Hausarzt (HA-Vermittlungsfall) wie folgt definiert worden: Ein Termin gilt als medizinisch dringend erforderlich, wenn er innerhalb von 4 Kalendertagen liegt, nachdem der Hausarzt eine Behandlungsnotwendigkeit festgestellt hat. Geklärt wurde zudem, dass Hausärzte den in § 87 b vorgegebenen Zuschlag von 10 Euro auf die Versichertenpauschale auch erhalten, wenn ein Patient den vermittelten Termin beim Facharzt nicht wahrnimmt.
Augenärzte, Chirurgen, Gynäkologen, HNO-Ärzte, Hautärzte, Kinder- und Jugendpsychiater, Nervenärzte, Neurologen, Orthopäden, Psychiater und Urologen gehören zur grundversorgenden und wohnortnahen Versorgung und müssen ab 1.9.2019 mindestens 5 Stunden pro Woche als offene Sprechstunde (d. h. ohne vorherige Terminvereinbarung) anbieten. In der offenen Sprechstunde werden alle Leistungen im Arztgruppenfall extrabudgetär vergütet, also für bis zu 5 offene Sprechstunden je Kalenderwoche.
Ab 1.9.2019 können Ärzte die Behandlung neuer Patienten extrabudgetär abrechnen, wobei auch hier der Arztgruppenfall gilt. Ein Arztgruppenfall umfasst alle Leistungen, die bei einer möglichen TSVG-Konstellation von derselben Arztgruppe in derselben Arztpraxis innerhalb desselben Quartals bei einem Versicherten ambulant zulasten derselben Krankenkasse durchgeführt wurden. Erfolgt die Behandlung in der Arztpraxis durch mehrere Arztgruppen, werden grundsätzlich die Leistungen derjenigen Arztgruppe extrabudgetär vergütet, die den ersten Kontakt zum Versicherten hatte.
Als "neue Patienten" gelten Patienten, die erstmals oder erstmals nach 2 Jahren eine von maximal 2 Arztgruppen einer Praxis aufsuchen, weil die extrabudgetäre Abrechenbarkeit von Neupatienten auf 2 Arztgruppen begrenzt worden ist. Die extrabudgetäre Leistungsabrechnung stellt für eine Vertragsärztin bzw. Vertragsarzt einen finanziellen Anreiz dar, eine ggf. noch nicht bestehende Praxisvollauslastung nunmehr auszuschöpfen. Eine nur vorübergehende Übernahme der Behandlung eines neuen Patienten im Vertretungsfall würde dafür aber z. B. nicht ausreichen.
Ausgenommen von dieser Regelung sind Anästhesisten, Humangenetiker, Labormediziner, Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen, Nuklearmediziner, Pathologen und Radiologen. Sie erbringen ihre vertragsärztlichen Leistungen i. d. R. im Rahmen einer Mitbehandlung oder Auftragsbehandlung. Eine weitere Ausnahme gilt für neu gegründete Praxen und im Falle von Gesellschafterwechsel; sie erhalten Leistungen für neue Patienten erst nach 2 Jahren extrabudgetär vergütet. Dies stellt sicher, dass die Regelung der extrabudgetären Leistungsvergütung nicht durch solche Entwicklungen umgangen werden kann, die allein auf die Vertragsärztin bzw. den Vertragsarzt zurückgehen, aber nichts mit der Patientin oder dem Patienten zu tun haben.
Ein Akutfall (TSS-Akutfall) liegt vor, wenn der Patient spätestens ab 1.1.2020 wegen akuter Beschwerden die Nummer des Bereitschaftsdienstes 116 117 wählt und mittels des standardisierten medizinischen Ersteinschätzungsverfahrens in die richtige Versorgungsebene vermittelt wird. Dafür kennzeichnen die Praxen den Abrechnungsschein als "TSS-Akutfall" und rechnen den in § 87b vorgegebenen Zuschlag auf die Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale ab. Als besonders kurzfristige "TSS-Akutfälle" gelten Behandlungstermine innerhalb von 24 Stunden. Der Zuschlag ist einmal im Arztgruppenfall berechnungsfähig, sofern der vermittelte Termin spätestens am Tag nach der Kontaktaufnahme des Versicherten bei der Terminservicestelle und der Einschätzung als TSS-Akutfall liegt.
Nach den Verlautbarungen der KBV vor Inkrafttreten des TSVG hilft der Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116 117 bei Erkrankungen, mit denen die Patientin/der Patient normalerweise eine Vertragsärztin oder einen Vertragsarzt in einer Arztpraxis aufsuchen würde, die Behandlung aber aus medizinischen Gründen nicht bis zum nächsten Tag warten kann.
In lebensbedrohlichen Fällen (z. B. Bewusstlosigkeit oder erhebliche Bewusstseinstrübung, schwere Atemnot, starke Brustschmerzen oder Herzbeschwerden, starke, nicht ...