Rz. 53
Der Befreiungsantrag als materielle Voraussetzung für eine Befreiung ist nunmehr einheitlich für alle Befreiungsrechte mit einer Frist von 3 Monaten nach Beginn der Krankenversicherungspflicht zu stellen. Da der Beginn der Versicherungspflicht mit der Erfüllung des Tatbestandes nach § 5 und damit mit dem Beginn der Mitgliedschaft eintritt, ist der Beginn der Mitgliedschaft nach § 186 fristauslösendes Ereignis. Soweit mehrere Pflichtversicherungstatbestände vorliegen oder ein Vorgang der Familienversicherung besteht, ist der Beginn der Mitgliedschaft nach der Rangfolge der Versicherungspflichten (vgl. § 5 Abs. 5 ff.) zu bestimmen. Für die Fristberechnung gilt § 26 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 BGB (so auch Sommer, in: Handbuch der KV, Stand: Juli 2001, § 8 Rz. 58 und Kruse, in: LPK-SGB V, 3. Aufl., § 8 Rz. 16). Die Antragsfrist endet daher mit Ablauf des Tages, der seiner Zahl nach dem Tag des fristauslösenden Ereignisses 3 Monate später entspricht. Der Antrag kann jedoch auch schon vor dem Eintritt der Versicherungspflicht gestellt werden, da die Regelung des Abs. 2 Satz 1 nur Auswirkungen für das Fristende hat (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 10.12.2014, L 1 KR 255/13).
Beginn der Versicherungspflicht wegen Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze zum 1.1.
Der Befreiungsantrag muss spätestens am 1.4. bei der Krankenkasse eingegangen sein.
Rz. 54
Als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung wird der Befreiungsantrag mit dem Zugang wirksam (§ 130 BGB). Maßgebend für die Fristwahrung ist der Zugang des Antrags bei der Krankenkasse. Der Zugang bei einer anderen Stelle nach § 16 SGB I ist nicht ausreichend, da diese Vorschrift nur für die Fristwahrung bei Ansprüchen auf Sozialleistungen gilt und die Befreiung gerade auf Vermeidung solcher Ansprüche angelegt ist. Der Antragsteller trägt insoweit das Übermittlungsrisiko. Die Frist von 3 Monaten gilt auch, wenn sich erst nach Fristablauf für einen zurückliegenden Zeitraum Krankenversicherungspflicht herausstellt (Sächs. LSG, Urteil v. 11.12.2008, L 1 KR 63/07).
Rz. 55
Umstritten ist, ob es sich bei der Frist um eine Ausschlussfrist handelt, in die nach § 27 Abs. 5 SGB X eine Wiedereinsetzung auch bei unverschuldeter Unkenntnis nicht in Betracht kommt. Das BSG (Urteil v. 23.2.1973, 3 RK 44/71, und Urteil v. 14.2.1982, 5a RKn 15/81) hatte die Frist des § 173a Abs. 2 RVO noch als Ausschlussfrist angesehen (so auch Dalichau, SGB V, § 8 III 1, Stand: September 2009; Gerlach, in: Hauck-Noftz, SGB V, § 8 Rz. 102, Stand: 5. Ergänzungslieferung 2024). Die neuere Rechtsprechung (BSG, Urteil v. 9.2.1993, 12 RK 28/92) geht jedoch davon aus, dass auch bei einer Versäumung der Befreiungsfrist eine Wiedereinsetzung möglich ist, weil Abs. 2 dies nicht ausdrücklich ausschließt (so auch Hampel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., Stand: 15.06.2020, § 8 Rz. 119). Eine Befreiung kann ggf. trotz Fristversäumnis im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ausgesprochen werden, wenn die Fristversäumnis auf einer konkret angeforderten (§ 14 SGB I) falschen Auskunft über das Befreiungsrecht oder die einzuhaltende Frist beruht. Das LSG Nordrhein-Westfalen sieht die Voraussetzungen für eine Beratungspflicht der Krankenkasse nicht nur bereits dann als erfüllt an, wenn ihr positiv bekannt ist, dass bei dem Rentner ein Befreiungsantrag in Betracht kommt, sondern im Hinblick auf die große Zahl privat gegen Krankheit versicherter Personen liege es für den Versicherungsträger nicht fern, dass der versicherungspflichtig gewordene Rentner privat versichert ist oder jedenfalls die Möglichkeit hierzu hat und sich daraus für ihn die Notwendigkeit ergibt, einen Antrag auf Befreiung von der KVdR zu stellen. Es gehöre deshalb zu den Pflichten der Krankenkasse, versicherungspflichtige Rentner rechtzeitig über die Befreiungsmöglichkeit und die Kürze der dafür zur Verfügung stehenden Frist zu belehren (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16.6.2011, L 1 KR 548/10). Nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs genügt jedoch nicht allein ein Beratungsfehler oder -ausfall, sondern dieser muss auch kausal für die verfristete Stellung eines Befreiungsantrags geworden sein. Die Beweislast für das Vorliegen eines Beratungsfehlers oder -ausfalls trägt dabei der Antragsteller, sodass selbst bei einer Unaufklärbarkeit/Nichterweislichkeit dies zulasten der Antrag stellenden Person gehen würde.
Rz. 55a
Der Befreiungsantrag setzt Geschäftsfähigkeit voraus. § 36 SGB I gilt nur für Leistungsanträge und findet daher auf das Befreiungsrecht keine Anwendung. Auch § 175 Abs. 1 Satz 3, der 15-Jährigen die Ausübung von Krankenkassenwahlrechten einräumt, kann auf den Befreiungsantrag nicht übertragen werden, weil die Wahl einer zuständigen Krankenkasse bei gesetzlich angeordneter Versicherungspflicht mit der Befreiung von der Versicherungspflicht in den Rechtsfolgen nicht vergleichbar ist.