Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 54
Der mit Wirkung zum 28.6.2012 eingeführte Abs. 3a regelt die Haftung des Gemeinsamen Bundesausschusses für Amtspflichtverletzungen gegenüber Dritten. Die Verletzung der Amtspflicht nach § 839 BGB i. V. m. Artikel 34 GG bezieht sich auf die Ausübung der dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragenen Aufgaben. Die Haftung ist umfassend und erstreckt sich auf alle Personen, die im Gemeinsamen Bundesausschuss entscheiden, mitberaten oder in den vorbereitenden Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses mitwirken. Die Rückwirkung der Haftungsvorschrift beruht nach der Gesetzesbegründung darauf, dass anderenfalls die mit den Bewertungsentscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses verbundenen Haftungsrisiken nicht sachgerecht gehandhabt werden können, weil z. B. jede Trägerorganisation für die von ihr benannten Mitglieder und Stellvertreter dasselbe volle Haftungsrisiko absichern müsste. Die Verantwortlichkeit trifft nicht die Trägerorganisationen (§ 91 Abs. 3a Satz 1). Eine Haftung im Innenverhältnis ergibt sich durch den Verweis auf § 42 Abs. 1 bis 3 SGB IV. Die gesetzliche Klarstellung geht auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss des Bundestages) zurück und ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 14.3.2002, III ZR 302/00) zur Haftung der Trägerorganisationen für die von ihnen in Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung entsandten oder berufenen Mitglieder erfolgt. In diesem Urteil hatte der III. Zivilsenat die haftungsrechtliche Verantwortung der KBV für die von ihr entsandten, weisungsungebundenen Mitglieder des Bewertungsausschusses festgestellt.
Rz. 55
Haftungsfälle können z. B. entstehen, wenn die Mitwirkung an Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht verantwortlich ausgeübt wird, wenn vertrauliche Informationen bekannt werden, welche die benannten oder berufenen Personen zur Wahrnehmung ihrer Beratungstätigkeit oder Mitberatungstätigkeit erhalten haben oder wenn Ansprüche von pharmazeutischen Unternehmern geltend gemacht werden, weil im Zusammenhang mit der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln aus dem Verantwortungsbereich des Gemeinsamen Bundesausschusses heraus schützenswerte Geschäftsgeheimnisse durch Bekanntwerden des hoch vertraulich übermittelten Dossiers verletzt worden sind. Hoch vertrauliche Unterlagen sind nach der Anlage II (Vertraulichkeitsschutzverordnung) der Geschäftsordnung solche Unterlagen, die vom pharmazeutischen Unternehmen oder anderen Unternehmen gemäß der Verfahrensordnung als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gekennzeichnet wurden. Auch die im Rahmen der Bearbeitung und Beratung erstellten Dokumente, in denen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aus den genannten Unterlagen enthalten sind, stellen hoch vertrauliche Unterlagen dar und sind von der Verfasserin oder dem Verfasser entsprechend zu kennzeichnen.
Rz. 56
Nach Abs. 3a Satz 1 haftet der Gemeinsame Bundesausschuss, wenn die von den Trägerorganisationen benannten Mitglieder des Beschlussgremiums und deren Stellvertreter, die von ihnen berufenen unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter die einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG in Ausübung der ihnen übertragenen Aufgaben verletzen. Schäden, welche nicht in Ausübung des Amtes, sondern nur bei Gelegenheit der Amtsausübung verursacht wurden, sind von der Haftungsübernahme nicht erfasst. Nach Satz 2 gilt die Haftung des Gemeinsamen Bundesausschusses auch für den Fall, dass die Berufung des unparteiischen Mitglieds oder des Stellvertreters durch das BMG erfolgt ist, weil sich die Trägerorganisationen nicht geeinigt hatten. Nach Satz 3 haftet der Gemeinsame Bundesausschuss auch für die von den Trägerorganisationen für die vorbereitenden Gremien (Unterausschüsse, Arbeitsausschüsse) des Gemeinsamen Bundesausschusses benannten Personen, soweit diese zur Wahrung der Vertraulichkeit der für den Gemeinsamen Bundesausschuss geheimhaltungspflichtigen, ihnen zugänglichen Unterlagen und Informationen verpflichtet werden und sie diese Pflichten verletzen. Nicht zuletzt erstreckt sich die Haftung des Gemeinsamen Bundesausschusses auch auf die nach § 140f Abs. 2 Satz 1 HS 2 benannten Patientenvertreter, denen zur Ausübung ihres Mitberatungsrechts für den Gemeinsamen Bundesausschuss geheimhaltungspflichtige Unterlagen und Informationen zugänglich gemacht werden, wenn sie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zur Wahrung der Vertraulichkeit dieser Unterlagen verpflichtet worden sind. Das Nähere insbesondere zu den Geheimhaltungspflichten, auch der in den Unterausschüssen und Arbeitsgruppen des Gemeinsamen Bundesausschusses tätigen Personen sowie der Patientenvertreter, regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Geschäftsordnung. Im Rahmen seiner Organisationspflichten hat er dabei auch die technischen und sonstigen Anforderungen zur hinreichenden Sicherung der vertraulichen Unterlagen zu bestimmen. So können z. B. die ausgehändigten Unterlagen mit Schattennummern ver...