Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
Für den Umgang mit Erreichbarkeitsanforderungen scheint es keinen "Königsweg" zu geben. Zu vielfältig ist die Arbeitswelt, zu unterschiedlich sind die Anforderungen an bestimmte Branchen und Betriebe sowie die Betriebe selbst, nach ihrer Größe, Unternehmensstruktur und Arbeitsorganisation.
Allerdings zeigen Befragungen sowohl auf Betriebs- wie auf Beschäftigtenseite, dass ab einer gewissen Intensität das Thema zu relevant ist, um unbearbeitet zu bleiben. Wenn auch die eindeutig mess- und ableitbaren negativen Folgen von hohen Erreichbarkeitsanforderungen eher gering sind, so ist doch damit zu rechnen, dass "Wildwuchs" in diesem Bereich zu erheblichen Problemen führt, z. B. durch
- Auseinandersetzungen innerhalb der Arbeitsgruppen/Abteilungen und/oder mit Kunden/Dritten durch angestauten Missmut;
- Fehler und Schlechtleistung durch "zwischendrin" ohne belastbare Strukturvorgaben abgewickelte Aufgaben;
- Produktivitätsverluste durch Ausfälle;
- Rechtsverletzungen mit den damit verbundenen Auseinandersetzungen mit Aufsichtsbehörden (Verstöße gegen Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes);
- Fluktuation bei Leistungsträgern, die sich langfristig überfordert oder benachteiligt sehen.
Erreichbarkeitsregelungen in der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen
Erreichbarkeitsanforderungen sind in betroffenen Branchen/Betrieben ein wichtiger Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen.
In der Praxis reagieren Unternehmen hier sehr unterschiedlich, von bewusster Inaktivität ("Wir machen da keine Vorgaben, das regelt sich schon ...") bis hin zu rigorosen Kommunikationsbeschränkungen, bei denen etwa Mail-Server zu bestimmten Zeiten heruntergefahren werden. Beide Extreme bergen Risiken, weil einerseits die Gefahr besteht, dass sich stillschweigend überzogene Erreichbarkeitsvorstellungen etablieren und andererseits zu rigide Gegenmaßnahmen umgangen werden, u. a. durch das Ausweichen auf andere (z. B. private statt dienstliche) Kommunikationsmöglichkeiten.
Wichtig ist aber, hier keine doppelbödige Kommunikation zu dulden. Wenn einerseits Regelungen getroffen werden, um Erreichbarkeitsanforderungen zu reduzieren und in der Praxis aber doch häufig arbeitsbezogene Kontakte außerhalb der regulären Zeiten abgewickelt werden, verunsichert und belastet das Beschäftigte besonders.
Eine gelebte Praxis, z. B. in der Berücksichtigung von Nichterreichbarkeitszeiten, ist hier deutlich überzeugender als festgelegte Bestimmungen, die im Alltag nicht umgesetzt werden.
4.1 Gestaltungsansätze aus Sicht der Beschäftigten
Keine umfassende "Selbstverpflichtung"ohne Rücksprache mit dem Arbeitgeber
Wer sich mit der Zeit – aus welchen Gründen auch immer – daran gewöhnt hat, regelmäßig auch abends und am Wochenende dienstlich aktiv zu sein, leidet mit der Zeit u. U. unter den negativen Folgen, ohne dass er oder sie eine ausreichende Wertschätzung dafür wahrnimmt – weil der Arbeitgeber eine solche Arbeitorganisation gar nicht fordern oder fördern möchte.
Selbstwahrnehmung
Wer außerhalb seiner regulären Arbeitszeit Mails checkt und abarbeitet, sollte sich immer wieder kritisch fragen, warum er oder sie das tut, erst recht, wenn keine konkrete Erreichbarkeitsregelung mit dem Arbeitgeber dahinter steht. Nicht alles, was man scheinbar freiwillig leistet, will man auch wirklich. Wer merkt, dass er oder sie mit den Erreichbarkeitsanforderungen, so wie sie aktuell gelebt werden, nicht zurecht kommt, sollte mit dem Arbeitgeber in Kontakt treten und von sich aus auf strukturierte Abstimmung hinwirken.
Selbstkontrolle
Definierte Erreichbarkeitsregeln sollen eingehalten werden. Der Arbeitgeber ist weisungsbefugt, was die Arbeit – und grundsätzlich auch die Nichtarbeit – angeht.
4.2 Gestaltungsansätze aus Sicht des Betriebs
In vielen Betrieben bzw. Abteilungen kann auf Erreichbarkeitsanforderungen nicht verzichtet werden. Dann muss durch transparente und umsetzbare Organisationsstrukturen dafür gesorgt werden, dass es nicht zu unzuträglichen Belastungen der Beschäftigten kommt. Es macht keinen Sinn, den Kommunikationsbedarf außerhalb der regulären Arbeitszeiten vollkommen freizugeben. Arbeitsfreie Zeit muss grundsätzlich arbeitsfrei bleiben, sonst ist es Arbeits- oder mindestens Bereitschaftszeit und muss entsprechend arbeits- und tarifrechtlich behandelt werden.
Daher sollten folgende Punkte geklärt werden:
Was muss zwingend außerhalb der üblichen Arbeitszeiten geregelt werden?
Aufschiebbare Aufgaben sollten grundsätzlich nicht im Rahmen einer Erreichbarkeitsregelung als "versteckte Mehrarbeit" angefordert oder geleistet werden. Stattdessen sollte definiert und kommuniziert werden, was als nicht aufschiebbare Kontakte anzusehen ist.
Bei sehr hohem Bedarf können Rufbereitschaften oder vergleichbare Regelungen erforderlich sein, die dann ebenfalls den dafür üblichen arbeits- und tarifrechtlichen Regelungen entsprechen müssen.
Wann und wie können Beschäftigte bzw. Vorgesetzte bei Bedarf kontaktiert werden?
Mögliche hilfreiche Regeln können sein:
- Kein Mailkontakt abends/am Wochenende. Nicht aufschiebbare Kontakte sind dann ausschließlich telefonisch zu r...