Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 11
Bei der Durchführung der Hauptfeststellung auf den 1.1.1964 hat sich gezeigt, dass bei vielen bebauten Grundstücken die Voraussetzungen für die Mindestbewertung nach § 77 BewG gegeben wären. Außerdem wurde festgestellt, dass die Mindestwerte in keinem ausgewogenen Verhältnis zu den sich im Ertragswertverfahren ergebenden Grundstückswerten standen. Dafür waren unterschiedliche Gründe ursächlich. Zum einen waren die Bodenpreise nach den Verhältnissen, wie sie für die Hauptfeststellung auf den 1.1.1964 zugrunde zu legen sind, außerordentlich gestiegen. Die Jahresrohmieten waren dagegen nach dem Stand vom 1.1.1964 wegen der seinerzeit fortbestehenden Mietpreisbindungen idR sehr niedrig. Die niedrigen Jahresrohmieten entsprachen somit nicht den erheblich angestiegenen Bodenpreisen. Deshalb waren in vielen Fällen die tatsächlichen Bodenwertanteile bei weitem höher als die bei Bildung der Vervielfältiger unterstellten Bodenwertanteile an der Jahresrohmiete (s. Anm. 4). Dementsprechend ergaben sich hohe Mindestwerte.
Rz. 12
Vor diesem Hintergrund hielt es der Gesetzgeber für notwendig, die Auswirkungen der Mindestbewertung zu begrenzen. Er hat deshalb in Art. 7 StÄndG v. 18.8.1969 Folgendes bestimmt:
„§ 1
Bei der Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes auf den 1. Januar 1964 sowie bei Fortschreibungen und Nachfeststellungen der Einheitswerte des Grundbesitzes, beidenen die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964 zugrunde zu legen sind, ist § 77 des Bewertungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Dezember 1965 (Bundesgesetzbl. I S. 1861) in der folgenden Fassung anzuwenden:
§ 77 Mindestwert
Der für ein bebautes Grundstück anzusetzende Wert darf nicht geringer sein als 50 vom Hundert des Werts, mit dem der Grund und Boden allein als unbebautes Grundstück zu bewerten wäre.
§ 2
Sind Einheitswerte des Grundbesitzes auf den 1. Januar 1964 nach § 77 des Bewertungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Dezember 1965 vor Inkrafttreten dieses Gesetzes festgestellt worden, so ist der Feststellungsbescheid aufzuheben.”
Rz. 13
Bei der Beratung der vorstehenden Ausnahmeregelung hat sich der Gesetzgeber auch mit der Frage befasst, ob die Vorschrift des § 77 BewG über die Mindestbewertung nicht ganz gestrichen werden kann. Er hat die Frage verneint. Hierzu führt die Begründung aus:
"Eine Streichung des § 77 BewG 1965 ist nicht möglich. Sie würde nicht nur dem System des Bewertungsrechts widersprechen, das auf der grundlegenden Vorschrift des § 9 BewG aufgebaut ist, nach dem bei Bewertungen der gemeine Wert (Verkehrswert) zugrunde zu legen ist, sondern auch gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Bewertung verstoßen. Die im Entwurf vorgesehene Regelung kann deshalb auch nur eine für die Einheitsbewertung auf den 1. Januar 1964 beschränkte Regelung sein, um die in diesem Zeitpunkt gegebenen Ausnahmeverhältnisse zu berücksichtigen."
Die Gesetzesbegründung zeigt, dass der Gesetzgeber die Halbierung des Mindestwerts als geeignete Maßnahme angesehen hat, um die bereits im Hauptfeststellungszeitpunkt 1.1.1964 erkannten Wertverzerrungen der Bewertungsverfahren abzumildern. Es ist insoweit mE nicht überzeugend, dass die Begründung den Bezug zum gemeinen Wert und das Erfordernis der Gleichmäßigkeit der Besteuerung in den Vordergrund stellt, wenn gleichzeitig eine derart drastische und kaum nachvollziehbare Reduzierung des Mindestwerts realisiert wird. Daran ändert die für die Einheitsbewertung vorgesehene Begrenzung des Hauptfeststellungszeitraums 1964 nichts. Denn auch nach über 40 Jahren ist es nicht gelungen, die Wertverzerrungen zu beseitigen. Der übergroße Zeitraum hat im Gegenteil dazu beigetragen, die Wertverzerrungen zu verschärfen. Somit kann die Unterstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung auf der Grundlage von am gemeinen Wert orientierten Einheitswerten durchaus als verwegen erscheinen. Die Tatsache, dass der Mindestwert für ein bebautes Grundstück auch heute noch auf die Hälfte des nach den Wertverhältnissen zum 1.1.1964 ermittelten Bodenwerts ermäßigt werden muss, verdeutlicht den völlig fehlenden Zusammenhang der Einheitsbewertung mit dem gemeinen Wert. Da die Einheitsbewertung des Grundbesitzes zwischenzeitlich nur noch für die Grundsteuer von Bedeutung ist, liegt indem fehlenden Zusammenhang zwischen dem gemeinen Wert und dem Einheitswert für sich allein noch kein Grund für die Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung. Das gilt aber nur, soweit und solange das Wertniveau zwischen dem gemeinen Wert und dem Einheitswert bei allen Grundstücken in einer konstanten Relation steht. Die bestehenden Wertverzerrungen zwischen den einzelnen Grundstücksarten und den verschiedenen Bewertungsmethoden belegen jedoch das Gegenteil, so dass die Anknüpfung der einheitswertabhängigen Steuern an die in dieser Weise ermittelten Einheitswerte des Grundbesitzes als gleichheits- und damit als verfassungswidrig erscheint.