Rz. 306
Unstreitig erfasst § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG den Erwerb von Stiftungsvermögen durch Anfallberechtigte; das sind die als solche in der Stiftungssatzung benannten Personen (s. § 88 Satz 2 BGB). Mit der "Ausantwortung" des Restvermögens werden ihre hierauf konkretisierten Ansprüche durch die Stiftung i.L. erfüllt (§ 88 Satz 3 i.V.m. § 49 Abs. 1 Satz 1 BGB), weshalb § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG sowohl mangels steuerbarer Bereicherung als auch wegen fehlender Freigebigkeit nicht greifen kann.
Rz. 307
Eine Steuerpflicht kommt nur für Erwerber in Frage, deren Erwerb insb. nicht nach § 13 Abs. 1 Nrn. 15–18 ErbStG privilegiert ist (s. § 13 ErbStG Rz. 138–149, 153 ff., 201). Tatbestandlich ist auch der Anfall (Rückfall?) von Stiftungsvermögen an den/die Stifter; hierbei gilt stets StKl. III. Werden nicht anfallberechtigte Personen aufgrund autonomer Entscheidung der Liquidatoren aus dem Stiftungsvermögen bereichert, ist die Anwendung des § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG umstritten. Wer diese leider nicht präzise formulierte Norm (s.o. Rz. 304) wirklich ganz eng auslegen will, müsste sie eigentlich auf die Fälle der tatsächlichen Auskehrung des in Geld umgesetzten Restvermögens einer liquidierten Stiftung beschränken (s. § 88 Satz 3 i.V.m. § 49 Abs. 1 Satz 1 BGB), so dass konsequent nur der letzte Zahlungsvorgang erfassbar und durch gezielt niedrige Restzahlung jedwede Steuerfestsetzung vermeidbar wäre. Richtigerweise unterliegen daher alle Übertragungen aus dem Stiftungsvermögen dem speziellen Zugriff nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG, wenn sie denn im Rahmen der am Ende ihrer Liquidation erlöschenden Stiftung erfolgen. Besteht die Stiftung hingegen unverändert fort, kann allenfalls § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG einschlägig sein (oder aber § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG – s. § 7 ErbStG Rz. 241).
Rz. 308
§ 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG soll auch bei Zulegung einer Stiftung auf eine andere Stiftung Anwendung finden, ebenso bei Zusammenlegung mehrerer Stiftungen zu einer neuen Stiftung. Vor die Finanzgerichtsbarkeit gelangten solche Fälle noch nicht. Daher blieb bislang ungeklärt, wie die hierbei auftretende Konkurrenz zu § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG (bei Zulegung, da Zustiftung, auch zu § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG – s. § 7 ErbStG Rz. 283) zu lösen ist. Dass die Finanzverwaltung auch die Satzungsänderung einer Familienstiftung, die den Stiftungscharakter verändert, als Aufhebung der bisherigen und Errichtung einer neuen Stiftung ansieht, stößt nicht auf Zustimmung. Allerdings vermeidet sie die Kollision beider Vorschriften durch Verzicht auf einen Zugriff nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG.
Rz. 309
Steuerentstehungszeitpunkt: Der Schenkungsteueranspruch entsteht nicht schon im Zeitpunkt des Aufhebungs- oder Auflösungsbeschlusses; für die "Ausantwortung" des Stiftungsvermögens gilt grundsätzlich eine einjährige Sperrfrist (§ 88 Satz 3 i.V.m. § 51 BGB). § 7 Abs. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG kann daher vor dem Erwerb des jeweiligen Vermögensgegenstands tatbestandlich noch nicht erfüllt sein (§ 38 AO). In Anwendung der nicht so recht passenden Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG stellt man darauf ab, wann der zivilrechtliche Vermögensübergang rechtswirksam wird. Allerdings fällt das Vermögen der Stiftung erst mit ihrem Erlöschen den anfallberechtigten Personen an (§ 88 Satz 1 BGB). Entscheidend hierfür ist das Ende der Liquidation (§ 88 Satz 3 i.V.m. § 49 Abs. 2 BGB). Die Entstehung des Steueranspruchs könnte sich entsprechend hinausschieben (s. § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 4 BewG bzw. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 1 Abs. 2 ErbStG).