Rz. 654
Die Bereicherung einer Kapitalgesellschaft aus dem Vermögen einer anderen Kapitalgesellschaft unterliegt, zumindest abstrakt, dem kumulativen Zugriff der Schenkungsteuer: stets als freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG und nunmehr auch nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG (s. aber Rz. 616 ff.). Beachten Sie: In Konsequenz des derzeit praktizierten Durchgriffs fallen Zuwendungen an, von und zwischen Personengesellschaften in den Anwendungsbereich der Vorschrift, soweit Kapitalgesellschaften an ihnen beteiligt sind.
Rz. 655
Mit § 7 Abs. 8 Satz 2 ErbStG wurde die Schenkungsteuer endgültig zu einer Unternehmenssteuer mit künftig verstärkter Relevanz im Rahmen der Konzernbesteuerung (s. auch Rz. 204, 437 f.); einschlägige Vorgänge ereignen sich vor allem zwischen Mutter- und Tochter- und Enkelgesellschaften sowie zwischen Schwestergesellschaften, d.h. zwischen gesellschaftsrechtlich verbundenen Unternehmen. Die angeblich "in der Praxis (vorhandene) Sorge" über eine Schenkungsteuerbarkeit verdeckter Gewinnausschüttungen in Konzernen beseitigt die Vorschrift nicht. Sie stellt – entgegen der gesetzesbegründenden Behauptung – auch nicht "klar, dass solche Vermögensverschiebungen zwischen Kapitalgesellschaften nur in den dort definierten Ausnahmefällen als Schenkungen behandelt werden können." Eine derart einschränkende Bedeutung ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen; im Gegenteil: Auch Zuwendungen zwischen Kapitalgesellschaften sollen freigebig sein, die bei nicht identischen Beteiligungsverhältnissen in Bereicherungsabsicht zugunsten der Gesellschafter erfolgen. Durch die Verwendung des Wortes "auch" erhält Satz 2, verknüpft mit dem Begriff der Freigebigkeit jedenfalls für Fälle i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG (anders i.V.m. Satz 1 – s. Rz. 660, 664), gerade nicht den Charakter einer Ausnahmeregelung, sondern eher die Wirkung einer beispielhaften Klarstellung, wenn nicht sogar einer ausdrücklichen Anordnung. Manche sehen allerdings auch einen neuen Steuertatbestand. Als Steuerbefreiungsvorschrift für Vermögenstransfers im Konzern lässt sich Satz 2 keinesfalls interpretieren.
Rz. 656
Für Zuwendungen zwischen Kapitalgesellschaften bestätigt so § 7 Abs. 8 Satz 2 ErbStG konsequent das – in "Fortentwicklung", aber eigentlich in Durchbrechung der Rechtsprechung – bereits durch Satz 1 legitimierte Interesse des Gesetzgebers an der schenkungsteuerlichen Erfassung verdeckter Einlagen. Man kann diese Vorschrift, zusammen mit § 15 Abs. 4 ErbStG, aber auch als Beleg für eine Schenkungsteuerbarkeit verdeckter Gewinnausschüttungen anführen. Das heißt jedoch nicht, dass jeder als vGA beschreibbare Vorgang stets dem Zugriff der Schenkungsteuer unterliegt, Dies wäre ebenso falsch wie der derzeitige Standpunkt der Finanzverwaltung, in solchen Fällen freigebige Zuwendungen von Kapitalgesellschaften kategorisch zu verneinen (s. Rz. 607.1). Sie verhindert damit nicht nur die richtigerweise vorzunehmende Prüfung einschlägiger Sachverhalte durch die Schenkungsteuerstellen, sondern auch die dringende Beschäftigung der Finanzgerichte und somit letztlich auch des BFH mit der seit dem 14.12.2011 geltenden schenkungsteuergesetzlichen Rechtslage (§ 37 Abs. 7 Satz 1 ErbStG).
Rz. 657
Dringlich ist dies vor allem deshalb, weil dadurch das schenkungsteuerliche Vakuum auf unbestimmte Zeit perpetuiert wird, das der II. BFH-Senat selbst schuf, als er sich dafür entschied, Vorteilszuwendungen von Kapitalgesellschaften an ihre Gesellschafter und ihnen nahestehende Empfänger nicht als steuerbare Schenkungen der Gesellschaft zu behandeln – obwohl sie aufgrund meist fremdunüblicher Gestaltungen besonders besteuerungswürdig sind (vgl. § 7 Abs. 6 ErbStG – s. Rz. 546 ff.). Dass Kapitalgesellschaften durchaus Schenker sein können, war ihm hierbei bewusst. Doch leider verdrängte er später, dass der Gesetzgeber daran auch nach Einführung der tatbestandlich gerade solche Vorgänge betreffenden Steuerberechnungsnorm des § 15 Abs. 4 ErbStG ausdrücklich festhalten will. Offenbar genügt momentan allein das Totschlagsargument "vGA", um eine ernsthafte Einzelfallprüfung relevanter Praxisfälle – "ausschließlich nach Maßgabe der Zivilrechtslage" – von vornherein auszuschließen. So bleibt es wohl dem Zufall überlassen, ob irgendwann einmal bestätigt wird, dass für die plötzlich zur Prämisse erhobene Behauptung einer vorrangigen Ertragsbesteuerung die nötige gesetzliche Kollisionsvorschrift fehlt.
Rz. 658– 659
Einstweilen frei.