Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 188
M.E. ist es zutreffend, einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr unter fremden Dritten tatsächlich erzielten Kaufpreis als gemeinen Wert anzusetzen und auf den Ansatz eines Mindestwerts zu verzichten. Denn der auf dem Markt erzielbare Preis wird durch den Kaufpreis widergespiegelt. Jedenfalls muss man dies im normalen Geschäftsverkehr unterstellen können.
Rz. 189
Es ist zwar einsichtig, dass der gemeine Wert bei dieser Sichtweise auch von solchen Marktteilnehmern beeinflusst werden kann, die den betreffenden Markt mangels entsprechender Kenntnisse oder aufgrund unzulänglicher Beratung objektiv falsch einschätzen und deshalb keine angemessenen Kaufpreise zahlen. Dennoch dürfte eine völlige und für die Verkaufsableitung unakzeptable Fehleinschätzung die Ausnahme sein, da jeder Marktteilnehmer seine wirtschaftlichen Interessen sorgfältig abwägen wird. Verkäufer und Erwerber werden Chancen und Risiken eines Geschäfts häufig unterschiedlich bewerten und regelmäßig Preise aushandeln, die auf den verschiedenen Sichtweisen beruhen und letztlich den Wert der Sache prägen. Insofern ist der Kaufpreis stets ein äußerst gewichtiges Indiz für den gemeinen Wert. Sofern Anteilseigener jedoch nur einen Kaufpreis erzielen können, der von der Gesellschaft einseitig festgelegt wird, erscheint eine Ableitung des gemeinen Werts aus derartigen Kaufpreisen nicht überzeugend, weil die Preisbildung unter Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage und damit das typische Marktgeschehen völlig fehlt.
a) Gründe für den unter dem Substanzwert liegenden Verkaufspreis
Rz. 190
Die Gründe, weshalb ein Kaufpreis unter dem Substanzwert liegt, können in der Praxis vielschichtig sein. Bestehen die Gründe in der Tatsache, dass die Anteile nach den gesellschaftsvertraglichen Regelungen ausschließlich an den bestehenden Kreis der Gesellschafter veräußert werden dürfen, können hierin Verfügungsbeschränkungen bestehen, die nach § 9 Abs. 3 BewG nicht berücksichtigt werden dürfen.
Rz. 191
Die steuerlichen Folgen aus dieser Regelung können erheblich sein. Denn der ausscheidende Gesellschafter kann wegen des begrenzten Käuferkreises häufig nur einen geringen Kaufpreis erzielen, so dass bereits der steuerliche Substanzwert höher ist als der konkret erzielbare Kaufpreis. Unter Berücksichtigung der Ertragsausschichten oder des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach §§ 199 ff. BewG ergeben sich bei derartigen Fällen häufig noch höhere Werte.
Rz. 192
Weil die Verkaufsableitung mangels aussagekräftiger Verkaufspreise unzulässig ist, entspricht der Wert der übertragenen Anteile dem Substanzwert oder dem höheren Ertragswert. Die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem gemeinen Wert der Anteile gilt nach § 7 Abs. 7 ErbStG als Schenkung des ausgeschiedenen Gesellschafters an die verbleibenden Gesellschafter.
b) Verkauf unter fremden Dritten
Rz. 193
Die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen setzte bereits bei der bis 2008 geltenden Fassung des § 11 Abs. 2 BewG voraus, dass die Verkäufe im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu Stande gekommen sind. Diese Voraussetzung ergab sich zwar nicht unmittelbar aus § 11 Abs. 2 BewG. Jedoch ergibt sich dies – unverändert – aus § 9 Abs. 2 BewG, wonach als gemeiner Wert der Preis maßgebend ist, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Dagegen sind ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse nicht zu berücksichtigen.
Rz. 194
In der für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2008 geltenden Fassung des § 11 Abs. 2 BewG können nur Verkäufe "unter fremden Dritten" für die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen herangezogen werden. Dies verdeutlicht, dass Verkaufspreisen unter nahen Angehörigen die für eine Verkaufsableitung notwendige Objektivität nicht immanent ist.
aa) Verkauf unter nahen Angehörigen
Rz. 195
Besteht der Kreis der Gesellschafter einer Familiengesellschaft ausschließlich aus nahen Angehörigen, dürfte die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen, die zwischen den Gesellschaftern stattgefunden haben, kaum möglich sein. Einerseits besteht die latente Vermutung, dass der Kaufpreis nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen ist. Andererseits handelt es sich bei den Vertragsparteien nicht um "fremde Dritte", sondern um Angehörige. Deshalb scheidet die Verkaufsableitung des gemeinen Werts nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 BewG selbst dann aus, wenn die Vertragsparteien den Kaufpreis "wie unter fremden Dritten" gebildet haben.
bb) Verkauf unter Gesellschaftern
Rz. 196
Soweit die Auffassung vertreten wird, dass bei Verkäufen, die zwischen Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft stattgefunden haben, keine Ableitung aus Verkäufen möglich ist, weil insoweit keine Verkäufe "unter fremden Dritten" vorliegen, ist dem m.E. nicht zu folgen. Bei...