I. Bestimmung und Abgrenzung des Gegenstands der Bewertung
Rz. 6
Jede Bewertung hat von drei Fragestellungen auszugehen:
- 1. Was wird bewertet?
- 2. Wann wird bewertet?
- 3. Wie ist zu bewerten?
Von diesen drei Fragen (Was?, Wann?, Wie?) befasst sich § 2 BewG mit der ersten, nämlich der Frage nach dem "Was" der Bewertung. Damit beginnt jede Bewertung. Es ist zu klären, auf welchen Gegenstand sich die Bewertung bezieht. Die (richtige) Abgrenzung ist insb. bei verbundenen Sachen und Sachgesamtheiten deshalb von Bedeutung, damit für die Besteuerung erkennbar ist, welche Teile sich auf die Wertermittlung ausgewirkt haben (positive Abgrenzungswirkung) und welche Teile bei der Bewertung unberücksichtigt geblieben sind (negative Abgrenzungswirkung). Die richtige Abgrenzung des Bewertungsgegenstandes erfordert damit, dass bei demjenigen, der die Bewertung vornimmt, eine genaue Vorstellung über Art, Lage, Größe, Beschaffenheit usw. des Bewertungsgegenstandes besteht.
II. Auslegung – Wirtschaftliche Betrachtungsweise
Rz. 7
Die AO 1977 enthält im Gegensatz zur AO 1919 und zum StAnpG keine Vorschrift über die Auslegung von Steuergesetzen. Dies ist historisch begründet. Dem Schöpfer der AO 1919, Enno Becker, schien zur damaligen Zeit der Methodenstreit zwischen der Begriffsjurisprudenz und der Interessenjurisprudenz noch nicht zugunsten letzterer gesichert entschieden zu sein. Um eine "ideologische Wirklichkeitsjurisprudenz" bei der Anwendung von Steuergesetzen erreichen zu können, schuf er § 4 AO 1919, den Vorläufer des § 1 Abs. 2 StAnpG. Danach war ausdrücklich vorgeschrieben, dass bei der Auslegung von Steuergesetzen "der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung der Steuergesetze und die Entwicklung der Verhältnisse" zu berücksichtigen sind. Diese Auslegungsregel wurde unter dem Schlagwort "wirtschaftliche Betrachtungsweise" der Steuergesetze bekannt. In der Regierungsvorlage zur AO 1977 war zwar noch als § 4 Abs. 2 eine dem bisherigen § 1 Abs. 2 StAnpG entsprechende Auslegungsvorschrift enthalten. Indessen hielt der Bundestag diese Vorschrift für entbehrlich, weil Auslegungsregeln der Kodifikation nicht bedürfen. Die sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise ist somit nach wie vor im Rahmen der Auslegung der von den Steuertatbeständen verwendeten Begriffe und im Verhältnis zwischen gesetzlichem Tatbestand und Sachverhalt zu verwenden.
III. Steuerrechtliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern
1. Begriff der Zurechnung
Rz. 8
Unter Zurechnung wird die persönliche Zuordnung eines Wirtschaftsguts für die Besteuerung verstanden. Damit wird bestimmt, welche Person oder Personen Schuldner von Steuern sind, die an die Herrschaftsgewalt über ein Wirtschaftsgut anknüpfen. Die Zurechnung ist in § 39 AO 1977 geregelt. Das Bewertungsgesetz kennt den Ausdruck "Zurechnung" allerdings auch in sachlichem Zusammenhang. Dabei handelt es sich um die Zurechnung von Wirtschaftsgütern zu einer wirtschaftlichen Einheit oder zu einer Vermögensart (vgl. § 26 BewG). Durch diesen doppelsinnigen Gebrauch des Wortes Zurechnung entstehen zum Teil Missverständnisse. Sachliche Zurechnungen beziehen sich tatsächlich aber auf die Artfeststellung. Auch wenn das Bewertungsgesetz in diesem Zusammenhang von Zurechnung spricht, so sollte dieser Ausdruck hier doch vermieden werden.
2. Zurechnung an den Eigentümer
Rz. 9
Im Regelfall sind Wirtschaftsgüter dem bürgerlich-rechtlichen Eigentümer zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 AO 1977). Da die Zurechnung nicht nur Sachen, sondern alle Wirtschaftsgüter erfasst und es ein Eigentum an Rechten nicht gibt, ist der Begriff "Eigentümer" in § 39 AO 1977 zu eng. Die Vorschrift muss dahin verstanden werden, dass die Zurechnung grundsätzlich an denjenigen erfolgt, der nach bürgerlichem Recht der Berechtigte ist. Denn aus der Sicht des bürgerlichen Rechts ist § 39 AO 1977 sozusagen unjuristisch formuliert.
3. Zurechnung an den "wirtschaftlichen Eigentümer"
Rz. 10
§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 sieht vor, dass Wirtschaftsgüter unter bestimmten Voraussetzungen als Ausnahme von der Regel des Abs. 1 für die Besteuerung einem anderen als dem nach bürgerlichem Recht Berechtigten zugerechnet werden. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist ein gesetzlich geregelter Anwendungsfall der sog. wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Er entspricht seinem sachlichen Inhalt nach dem vormaligen § 11 Nr. 1 bis 4 StAnpG. Für die Zurechnung an einen anderen als den nach bürgerlichem Recht Berechtigten hat sich der Ausdruck "wirtschaftliches Eigentum" gebildet. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen steuerrechtlichen Eigentumsbegriff; es wird lediglich die Abweichung von der durch das Zivilrecht bestimmten Regelzurechnung für steuerliche Zweck...