Rz. 3
Das Maß der Aussichten, die im Feststellungszeitpunkt für den Eintritt oder Nichteintritt einer Bedingung bestehen, ist nach der Rechtsprechung nicht entscheidend dafür, ob eine Verpflichtung aufschiebend oder auflösend bedingt ist. Wie auch im bürgerlichen Recht muss im Steuerrecht streng zwischen aufschiebender und auflösender Bedingung unterschieden werden, wobei diese Begriffe auch im Steuerrecht keine Auslegung unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Betrachtungsweise zulassen. Von der aufschiebenden Bedingung ist der Eintritt, von der auflösenden Bedingung die Wiederaufhebung der gewollten Rechtswirkungen abhängig.
§ 4 BewG regelt die bewertungsrechtliche Behandlung des aufschiebend bedingten Erwerbs. Der Begriff der aufschiebenden Bedingung und damit auch der Begriff des aufschiebend bedingten Erwerbs entsprechen den hierfür maßgebenden Grundsätzen des bürgerlichen Rechts. Ebenso folgt das stichtagsbezogene Bewertungsrecht in der Behandlung des aufschiebend bedingten Erwerbs dem bürgerlichen Recht (vgl. Vor §§ 4–8 BewG Rz. 4). Demgemäß liegt ein aufschiebend bedingter Erwerb vor, wenn die gewollten Wirkungen eines Rechtsgeschäfts, das den Erwerb von Wirtschaftsgütern zum Gegenstand hat, von dem Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängig sind, wobei ungewiss ist, ob das Ereignis eintreten wird.
Die von der Bedingung abhängig gemachten Wirkungen treten erst mit dem Eintritt der Bedingung ein. Entscheidend ist hiernach, dass der Anspruch am Bewertungsstichtag entstanden ist, während nicht erforderlich ist, dass er fällig ist.
Beispiel:
Der Erblasser E hat in seinem Testament dem Erben A die Verpflichtung auferlegt, dem B aus der Erbschaft 5.000 EUR zu zahlen, wenn B heiratet. Die Forderung des B gegen A ist aufschiebend bedingt (vgl. auch § 6 BewG Rz. 1 wegen der aufschiebend bedingten Verpflichtung des A).
Rz. 4
Der Eintritt der aufschiebenden Bedingung hat den Eintritt der gewollten Wirkungen des Rechtsgeschäfts (im Beispiel: der testamentarischen Bestimmung) zur Folge, und zwar vom Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung an (§ 158 Abs. 1 BGB). Die vom Berechtigten zuvor nur bedingt erworbene Forderung wird nunmehr zu einer unbedingten. Fällt die Bedingung aus, d.h. steht fest, dass sich der fragliche Tatbestand nicht mehr vollziehen kann, so verliert die testamentarische Bestimmung ihre Wirksamkeit.
Rz. 5
Die Vorschrift erfasst nur positive Wirtschaftsgüter, denn § 6 BewG behandelt abschließend aufschiebend bedingte Verbindlichkeiten. Zum Begriff des Wirtschaftsguts vgl. § 2 BewG Rz. 49. Als Beispielsfälle sind insbesondere der aufschiebend bedingte Erwerb von Kapitalforderungen und sonstigen Ansprüchen zu nennen.