I. Steuerfreiheit der fiktiven Ausgleichsforderung (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 20
Voraussetzung für die Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist zunächst, dass die Eheleute bzw. Lebenspartner im Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 BGB) gelebt haben. Dieser Güterstand gilt für alle Eheleute bzw. Lebenspartner, die vertraglich keinen abweichenden Güterstand vereinbart haben oder vertraglich von einem anderen Güterstand in den Güterstand der Zugewinngemeinschaft gewechselt sind. Das gilt auch für Eheleute, die im Beitrittsgebiet im gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft lebten (§ 13 FGB) und den Übergang in den Güterstand der Zugewinngemeinschaft gem. Art. 234 § 4 Abs. 1 EGBGB nicht ausgeschlossen haben.
Rz. 21
Ferner muss der Güterstand der Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten bzw. Lebenspartners beendet worden sein, und der Zugewinn darf nicht nach § 1371 Abs. 2 BGB ("güterrechtliche Lösung") ausgeglichen worden sein. Der Ausgleich muss also nach der "erbrechtlichen Lösung" durch pauschale Erhöhung des gesetzlichen Erbteils um [1]/4 erfolgt sein. Der überlebende Ehegatte bzw. Lebenspartner muss folglich Erbe geworden sein oder mit einem Vermächtnis bedacht worden sein und darf die Erbschaft nicht ausgeschlagen haben. Für diesen Fall sieht § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG vor, dass die effektive Zugewinnausgleichsforderung, die der überlebende Ehegatte bzw. Lebenspartner im Rahmen der güterrechtlichen Lösung nach § 1371 Abs. 2 BGB hätte geltend machen können, nicht zum Erwerb i.S. des § 3 ErbStG gehört.
Rz. 22
Das ErbStG negiert somit die sog. "erbrechtliche Lösung" und räumt dem Gedanken der Steuergerechtigkeit den Vorrang vor einer Vereinfachung durch Pauschalierung des Zugewinnausgleichs ein. An Stelle der pauschalen Erhöhung des gesetzlichen Erbes um [1]/4 ist also für steuerliche Zwecke stets eine fiktive Ausgleichsforderung zu ermitteln, es sei denn, es ist von vornherein abzusehen, dass der Erwerb des überlebenden Ehegatten bzw. Lebenspartners die persönlichen Freibeträge nicht übersteigt.
Rz. 23– 24
Einstweilen frei.
II. Ermittlung der fiktiven Ausgleichsforderung (Abs. 1 Sätze 2 bis 4)
Rz. 25
Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ErbStG ist die fiktive Ausgleichsforderung allein nach den Vorschriften der §§ 1373 bis 1383 und 1390 BGB zu ermitteln. Abweichende Vereinbarungen der Eheleute bzw. Lebenspartner über den Umfang der Zugewinnausgleichsforderung durch notariellen Ehevertrag (§§ 1408, 1410 BGB) bleiben unberücksichtigt. Weder der Abschluss eines Ehevertrages bei Eheschließung noch ein während der Ehe geschlossener Ehevertrag lösen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses steuerliche Folgen aus. Insbesondere ist die "modifizierte Zugewinngemeinschaft", durch die regelmäßig der Zugewinnausgleich für den Fall der Scheidung ausgeschlossen oder eingeschränkt wird, für die Besteuerung unbeachtlich. Auch haben Vereinbarungen über die Bestimmung des Anfangsvermögens, über die Ausklammerung bestimmter Vermögensteile – insbesondere von Betriebsvermögen – aus dem Zugewinn oder Vereinbarungen über die Zugrundelegung anderer Werte als der Verkehrswerte keine Bedeutung für die Ermittlung des steuerfreien Betrages.
Rz. 26
Ebenso wie im Zivilrecht stellt auch steuerlich die infolge des Kaufpreisschwundes nur nominelle Wertsteigerung des Anfangsvermögens eines Ehegatten bzw. Lebenspartners keinen Zugewinn dar. Das Anfangsvermögen jedes Ehegatten bzw. Lebenspartners wird auf den Zeitpunkt der Beendigung des Güterstandes mit dem durch das Statistische Bundesamt ermittelten Lebenshaltungskostenindex hochindexiert. Das gilt auch für ein negatives Anfangsvermögen. Dem Anfangsvermögen ist auch ein nach Eintritt des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft von Todes wegen erworbener im Zeitpunkt des Todes verjährter Pflichtteilsanspruch hinzuzurechnen und fällt somit letztendlich nicht in die steuerfreie Zugewinnausgleichsforderung, Vermögen, das dem Anfangsvermögen nach § 1374 Abs. 2 BGB hinzuzurechnen ist, insbesondere Erbschaften und Schenkungen im Hinblick auf ein künftiges Erbrecht, sind auf den Zeitpunkt der Zuwendung ebenfalls hochzuindexieren. Darin ist kein Verstoß gegen das Nettowertprinzip zu sehen.
Rz. 27
Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ErbStG findet die Vermutung des § 1377 Abs. 3 BGB, nach der das Anfangsvermögen eines Ehegatten bzw. Lebenspartners 0 Euro beträgt, wenn die Ehegatten bzw. Lebenspartner kein gemeinsames Verzeichnis über das Vermögen erstellt haben, keine Anwendung. Das Finanzamt ist also nicht nur berechtigt, sondern mit Rücksicht auf den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 88 AO) verpflichtet, das Anfangsvermögen eines jeden Ehegatten bzw. Lebenspartners zutreffend zu ermitteln. Hierbei sind die Steuerpflichtigen nach § 90 AO zur Mitwirkung ver...