I. Kapitalwert
Rz. 11
Für die Bewertung von Renten oder anderen wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen sehen die Absätze 2–7 des § 12 ErbStG keine besonderen Regelungen vor. Über den Verweis in § 12 Abs. 1 ErbStG gilt demnach der Verweis in dem Allgemeinen Teil des Bewertungsgesetzes. Einschlägig sind dort die Vorschriften §§ 13 bis 16 BewG. Danach sind Renten oder andere wiederkehrende Nutzungen oder Leistungen grundsätzlich mit dem Kapitalwert (Jahreswert × Vervielfältiger) zu bewerten. Mit diesem Kapitalwert ist die Rente oder andere wiederkehrende Nutzung oder Leistung dann in die Ermittlung der Bereicherung des Erwerbers nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG einzustellen. Der Kapitalwert führt damit zu einer einmaligen, dafür aber abschließenden Besteuerung dieses Erwerbs.
Rz. 12
Die Durchführung der Besteuerung nach dem Kapitalwert erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen.
Rz. 13
Beispiel 1
Der am 2.1.2021 verstorbene Erblasser E hinterlässt seinem 60-jährigen Bruder B ein Rentenvermächtnis i.H.v. monatlich 1.000 EUR. B wählt die Besteuerung nach dem Kapitalwert.
Der Jahreswert des Rentenvermächtnisses beträgt 12 × 1.000 EUR, also 12.000 EUR. Der Kapitalwert des Rentenvermächtnisses beträgt nach § 14 BewG 12.000 EUR × 12,858, insgesamt also 154.296 EUR. Nach Abzug des Freibetrags von 20.000 EUR (§ 16 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 15 Abs. 1 Steuerklasse II Nr. 2 ErbStG) beträgt der steuerpflichtige Erwerb 134.200 EUR (abgerundet auf volle 100 EUR nach unten gem. § 10 Abs. 1 Satz 6 ErbStG). Es ergibt sich somit eine festzusetzende Erbschaftsteuer bei einem Steuersatz von 20 % von 26.840 EUR.
Rz. 14
§ 23 ErbStG findet nur Anwendung, wenn die Steuer vom Kapitalwert von Renten zu entrichten ist. Daraus folgt, dass in den Fällen, in denen Gegenstand einer Schenkung nicht ein Rentenstammrecht, sondern einzelne Rentenleistungen sind, § 23 ErbStG nicht anwendbar ist.
Rz. 15– 17
Einstweilen frei.
II. Jahreswert
Rz. 18
Aus den oben genannten Gründen gewährt § 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG dem Erwerber ein Wahlrecht: Anstelle der abschließenden Sofortversteuerung kann er sich für die – laufende, jährlich im Voraus zu entrichtende – Versteuerung nach dem Jahreswert entscheiden. Die Besteuerungsgrundlagen werden mit dieser Wahl nicht verändert. Es geht um die Besteuerung desselben Rechts, das entweder mit dem Kapitalwert (= vervielfachter Jahreswert) oder mit dem Jahreswert (= einfacher Jahreswert) anzusetzen ist.
Rz. 19
Für die Bewertung sind einheitlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erwerbs des Rechts maßgeblich (§ 11 ErbStG). Es wird also nicht der jeweilige Jahreswert, sondern der bei Erwerb des Stammrechts maßgebliche Jahreswert ermittelt. Bei schwankenden Jahresbeträgen wird der Jahreswert mit dem Durchschnittsbetrag vom Bewertungsstichtag zugrunde gelegt.
Rz. 20
Die Wahl der Steuer nach dem Jahreswert wirkt zwar ähnlich einer Stundung, stellt aber keine andere Steuer dar, sondern nur eine andere Modalität der Steuerberechnung. Die Steuer vom Jahreswert ist keine gesonderte, neben der Steuer vom Kapitalwert festzusetzende Steuer. Die Steuer vom Jahreswert entsteht wie die Steuer vom Kapitalwert mit dem Erwerb des Rechts. Die Besonderheit der Steuer vom Jahreswert liegt darin, dass sie vom Gesetz als Jahressteuer ausgestaltet ist und als solche nicht nur einmal im Anschluss an den Erwerb, sondern jährlich neu aufgebracht werden muss. Der Steuerbescheid stellt in diesem Fall als Dauerverwaltungsakt die Rechtsgrundlage für die von dem Steuerpflichtigen jährlich und im Voraus zu entrichtende Steuer dar.
Rz. 21
Die auf den Bewertungsstichtag (§ 11 ErbStG) ermittelte Jahressteuer bleibt bis zu ihrem Erlöschen in der Höhe unverändert. Daran ändern weder Änderungen in der Gesetzeslage noch solche in der Rechtsprechung etwas. Auch wenn die Wahl der Jahresversteuerung im Ergebnis zu einer Steuerlast führt, die über die bei Wahl der Versteuerung nach dem Kapitalwert anfallende Steuer hinausgeht, ist dies nicht zu berücksichtigen. Denn dies ist nach dem Willen des Gesetzgebers ein Risiko, das in die Sphäre des wahlberechtigen Steuerpflichtigen fällt (s. hierzu im Einzelnen § 11 ErbStG Rz. 15 ff.). In Einzelfällen mag dies anders beurteilt werden (vgl. grundsätzlich § 11 ErbStG Rz. 15 ff.); klare Regeln hierfür gibt es aber nicht. Im Zusammenhang mit der Besteuerung einer von Todes wegen erworbenen Leibrente nach § 23 Abs. 1 ErbStG entschied der BFH, dass eine sachliche Unbilligkeit dadurch eintreten könne, dass...